Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Neue Zürcher Zeitung LITERATUR UND KUNST Samstag, 20.05.2000 Nr.117   83

 

Kulturzentrum und Metropole

Ausgrabungen in Alt-Paphos auf Cypern

Von Franz Georg Maier

Jede Ausgrabung sucht ein Stück Geschichte zurückzugewinnen: soziale Lebensformen, wirtschaftliche und politische Strukturen, nicht nur Monumente und Kunstwerke. Doch zugleich entfaltet sie ihre eigene, eng in die Zeit verflochtene Geschichte - eine Forschungsgeschichte, in der Planung und Kontingenz oft kaum unterscheidbar zusammenwirken. Das liesse sich an klassischen Grossgrabungen im Mittelmeerraum wie Olympia, Pergamon oder Delos demonstrieren; das gilt aber auch für Alt-Paphos. Die Forschungsgeschichte reicht hier in den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück - eingebettet in die Entwicklung der Feldarchäologie von der Schatzgräberei zu wissenschaftlichen Verfahren und in das wechselvolle Schicksal Cyperns.

Das paphische Heiligtum der Aphrodite gehörte zu den grossen überregionalen Kultzentren der Antike, die in der griechischen wie in der römischen Welt ihren Rang behielten, bis das Christentum die Verehrung heidnischer Götter verdrängte. Der Ruhm des Kultes beruhte nicht zuletzt darauf, dass die «schaumgeborene Göttin» nach antiker Tradition am Strand von Paphos zum ersten Mal dem Meer entstiegen war.

Die Lage des Heiligtums in der Nähe der syrischen Küste bedingte, dass die paphische Aphrodite in besonderem Mass Traditionen der phönikischen Astarte mit Zügen griechischer Herkunft verband. Doch Alt-Paphos war nicht nur Kultort, sondern zugleich von der späten Bronzezeit bis zum frühen Hellenismus die einzige städtische Siedlung im Südwesten Cyperns. Diese Verbindung von Kultzentrum und Metropole begründet ein besonderes Interesse an der Erforschung der Stadtgeschichte: Verläuft die Entwicklung eines religiösen Zentrums siedlungsgeschichtlich anders als die eines Verwaltungsmittelpunkts oder einer Handelsmetropole?

LAGE DES HEILIGTUMS

Die Erinnerung an die Lage des Aphroditetempels ging mit dem Ende des Altertums verloren. Den Jerusalem-Pilgern, die im Mittelalter in Cypern Station machten, galten Ruinen am Hafen von Neu-Paphos als Kultplatz der Göttin. Erst Ludwig Tschudi, Bruder des Historikers Aegidius Tschudi, entdeckte im Jahre 1519, dass die Ruinen von Alt-Paphos am Rande des Dorfes Kouklia lagen. Fast 300 Jahre später beschrieb der erste gelehrte Reisende diese Ruinen: der österreichische Orientalist Joseph Hammer von Purgstall, Sekretär von Commodore Sir Sidney Smith, dessen Dreidecker «Tigre» im August 1802 «auf der Reede von Bapho» ankerte.

Im Gegensatz zu andern grossen antiken Heiligtümern kam die Erforschung von Alt-Paphos nur zögernd in Gang. Der Beginn der britischen Herrschaft in Cypern 1878 regte zwar die Gründung des «Cyprus Exploration Fund» an, der 1888 in Alt-Paphos eine dreimonatige Grabungskampagne durchführte. Doch dann folgten lange Jahrzehnte der Vernachlässigung. Erst 1951 nahm die Kouklia-Expedition der Universität St. Andrews und des Liverpool Museum die archäologische Untersuchung der antiken Stadt wieder auf; den Anstoss dazu gab - eher zufällig - der Fund archaischer Skulpturen während einer Fahrradtour englischer Archäologen. Doch die Politik intervenierte erneut: 1956 erzwang die Cypernkrise den Abbruch der britischen Grabungen. Seit 1966 konnten dann unter der Ägide des Deutschen Archäologischen Instituts die Ausgrabungen in Alt-Paphos weitergeführt werden, mitgetragen durch die Universitäten Konstanz (bis 1972) und Zürich (seit 1973).

INTERDISZIPLINÄRES VORGEHEN

Die Zeit, in der wie 1888 zwei oder drei Archäologen eine Grabung mit fast hundert Arbeitern leiten konnten, ist vorbei. Grabungsunternehmen sind heute komplexe Forschungsprojekte, durchführbar nur in Formen transdisziplinärer und internationaler Kooperation. An Feldarbeit und Publikationen des Paphos-Projekts sind neben dem Zürcher Team deutsche, englische, französische, amerikanische und cypriotische Forscher beteiligt. Unsere Radiokarbon- Daten stammen vom Mittelenergiephysik-Institut der ETH, Ton- und Metallanalysen aus Forschungslabors der Universität Zürich, der Hebrew University und des CNRS, eines speziellen Datenbankprogramms. Vorbei ist auch die Zeit, in der unsere britischen Kollegen 1888 «a large site at so small a cost» ausgraben konnten. Der Fugger'sche Satz «pecunia nervus rerum» gilt nicht zuletzt für die Feldarchäologie: Nur eine gesicherte Finanzierung macht Planung auf längere Sicht möglich. Neben universitären Institutionen und Stiftungen verdanken wir vor allem dem Deutschen Archäologischen Institut den langen Atem, dessen ein solches Unternehmen bedarf.

1995 wurden die Arbeiten des Forschungsprojekts Paphos grabungstechnisch vorläufig abgeschlossen; eine Phase der Aufarbeitung dient der definitiven Veröffentlichung der Grabungsbefunde in der Reihe «Ausgrabungen in Alt-Paphos». Eine Bilanz der Ergebnisse von mehr als drei Jahrzehnten Feldarbeit drängt sich auf.

STADTGESCHICHTE

Ziel der Ausgrabungen in Alt-Paphos war von Anfang an die Rekonstruktion der Stadtgeschichte durch die Erforschung von Topographie, Siedlungsstruktur und urbanistischer Entwicklung. Ziele bestimmen Methoden: ein Forschungsprojekt im Grenzbereich von Geschichte und Archäologie erfordert die Auswertung sehr heterogener Quellen und damit eine interdisziplinäre methodische Strategie - einen Methodenverbund zwischen Verfahren der archäologischen Forschung und der historischen Analyse von Quellentexten. Die Feldarbeit in Alt-Paphos kombinierte schon früh Survey und Flächengrabung. Die systematische Sammlung, Kartierung und Analyse von Oberflächenfunden und topographischen Daten im antiken Stadtgebiet, auch durch Einsatz der Luftphotographie, wurde ergänzt durch die detaillierte Untersuchung bestimmter Bereiche, die für eine Phase der Stadtgeschichte oder eine spezifische Fragestellung Aufschlüsse versprachen. Einmal mehr hat sich die Interdependenz dieser Verfahren erwiesen: nur ein Survey, dessen Auswertung auf die Ergebnisse von Flächengrabungen zurückgreifen kann, liefert verlässliche Daten. Die Kombination von Survey und Flächengrabung hat unsere Kenntnis der aus den Schriftquellen nur höchst lückenhaft rekonstruierbaren Geschichte von Alt-Paphos nachhaltig erweitert und vertieft. Die Siedlungskontinuität umspannt nahezu 5000 Jahre, von etwa 2800 v. Chr. bis zum heutigen Tag. Eine durchgehende Besiedlung von der späten Kupferzeit bis in die frühbyzantinische Epoche ist gesichert, ein bedeutender mittelalterlicher Ort als Zentrum intensiver Rohrzuckerproduktion zumindest seit dem 12. Jahrhundert bezeugt. Grundzüge, Hauptphasen und Wendepunkte dieser erstaunlich langen und wechselvollen Entwicklung treten in klaren Umrissen hervor.

Den ersten Höhepunkt der Stadtgeschichte bezeichnet die späte Bronzezeit. Alt-Paphos war seit dem 13. Jh. v. Chr. eines der wirtschaftlichen und künstlerischen Zentren der Insel. Die Erzeugnisse der lokalen Ateliers - Keramik, Goldschmuck und Elfenbeinarbeiten - kennzeichnet eine zeittypische Verbindung ägäischer und orientalischer Kunsttraditionen. Siedlungsgeschichtlich von Bedeutung ist, dass Wohnzone und Nekropole nicht getrennt waren; Wohn- und Werkstättenquartiere lagen über den reichen Gräberfeldern des 13. und 12. Jh. v. Chr. Importierte Güter dokumentieren ein dichter werdendes Netz von Beziehungen nach Ost und West. Die steigende Zahl von Importen aus dem mykenischen Griechenland legt die Vermutung nahe, dass die Einwanderung achäischer Griechen in Alt-Paphos mit dem ausgehenden 12. Jahrhundert begann. Formen und Ausmass dieser Zuwanderung sind freilich hier wie anderswo in Cypern noch nicht zureichend bekannt. Eine grundlegende Tatsache belegt jedoch der archäologische Befund. Die scheinbar widersprüchlichen antiken Traditionen über die Gründung von Alt-Paphos verschlüsseln je einen bestimmten Aspekt historischer Realität: die Figur des einheimischen Königs Kinyras steht für die Existenz einer bedeutenden vorgriechischen Stadt, die des Arkaderkönigs Agapenor von Tegea für das spätere Eindringen griechischer Siedler.

DAS HEILIGTUM

Auch die Baugeschichte des Heiligtums reicht in die späte Bronzezeit zurück. Die Untersuchung der schwer zerstörten, 1888 nur teilweise freigelegten Anlage erwies, dass die erste monumentale Kultstätte um 1200 v. Chr. entstand. Plan und aufgehende Bauten lassen sich noch teilweise rekonstruieren. Gesichert ist, dass das Heiligtum aus einem von einer megalithischen Mauer umschlossenen Temenos und einem als Pfeilerhalle ausgebildeten Schrein bestand. Typologisch gehört der Bau zu jenen vorderorientalischen Hofheiligtümern, die auch an anderen cypriotischen Kultplätzen begegnen. Das Kultmal in Form eines konischen Felsblocks, wie es später hellenistische Siegelabdrücke und römische Münzen zeigen, stand vermutlich schon damals im Zentrum des heiligen Bezirks. Das spätbronzezeitliche Heiligtum bezeichnet den Beginn einer rund 1600 Jahre andauernden Kultkontinuität. Doch vermutlich bestand in Alt-Paphos schon wesentlich früher - worauf der Fund kupferzeitlicher Idole deutet - ein autochthoner Fruchtbarkeitskult, der schliesslich in den Kult der griechisch-phönikischen Aphrodite mündete. Die bildlose Verehrung der paphischen Göttin, die sich durch die Zeiten erhalten hat, ist wahrscheinlich ein Erbe solcher vorgriechischen Kulttradition.

ARCHAIK BIS HELLENISMUS

Im Gegensatz zu anderen Fundstätten der Insel vollzog sich in Alt-Paphos im 11. Jh. v. Chr. der Übergang in die frühe Eisenzeit ohne tiefgreifenden Bruch. Die Stadt behielt, bedingt nicht zuletzt durch die Kulttradition, ihre beherrschende Lage über der Küstenebene. Mit der archaischen und der klassischen Periode (8.-4. Jh. v. Chr.) begann eine neue Blütezeit. Topographie und Architektur markieren eingreifende Veränderungen gegenüber der späten Bronzezeit. Die Gräberfelder liegen nun ausserhalb der grossflächig nach Osten erweiterten Wohnzone, die seit dem Ende des 8. Jh. v. Chr. durch einen ausgedehnten Befestigungsring geschützt war. Zwei Bauten repräsentieren (um Clifford Geertz zu zitieren) den «set of symbolic forms», über den die Herrscher cypriotischer Stadtkönigreiche als Inhaber der Macht verfügten: das 1990/91 untersuchte monumentale Kammergrab der Könige Echetimos und Timochares und der mächtige spätarchaische Quaderbau von Hadji Abdullah, den sein eng mit persischen Palastbauten verwandter Grundriss als Königsresidenz ausweist: der Vasall nimmt sich die Bauten seines Oberherrn zum Vorbild.

Schon Homer pries den «heiligen Bezirk und weihrauchduftenden Altar» der paphischen Göttin; in der Stadt der Priesterkönige spielte er eine zentrale Rolle. Zwar sind alle Bauten zwischen dem 11. und dem 1. Jh. v. Chr. einem durchgreifenden römischen Neubau zum Opfer gefallen. Doch das Weiterleben der Kultstätte und zugleich die Mittlerstellung Cyperns zwischen Orient und Okzident bezeugen mehrere tausend Bruchstücke archaischer und klassischer Votiv-Terrakotten. Abbilder der «Göttin mit erhobenen Armen» verweisen auf ägäische Einflüsse, andere Votivgaben spiegeln das Einwirken des phönikischen Astarte- Kultes auf die Verehrung der Aphrodite. Alexanderzeit und beginnender Hellenismus markieren eine einschneidende Wende in der Stadtgeschichte. Seit dem Beginn des 3. Jh. Chr. werden die Wohn- und Werkstättenquartiere im Ostteil der Stadt aufgegeben, die Befestigung nicht mehr instand gehalten, die Friedhöfe auf die West- und Südwestseite der Stadt verlegt. Diese grundlegenden siedlungsgeschichtlichen Veränderungen sind nicht zu trennen von der Gründung der Hafenstadt Neu-Paphos gegen 300 v. Chr.: ein Teil der Bevölkerung von Alt-Paphos muss in das neue administrative und wirtschaftliche Zentrum übersiedelt sein. Doch der Kult der Aphrodite bewahrte die kleiner gewordene Stadt vor einem Rückfall in dörfliches Dasein. Von der ungebrochenen Bedeutung des paphischen Heiligtums, das Besucher aus allen Teilen der römischen Welt (darunter den Historiker Tacitus) anzog, zeugt ein aufwendiger Neubau aus dem späten 1. oder frühen 2. Jahrhundert. Nur Teilelemente der trümmerhaft erhaltenen Anlage lassen sich noch rekonstruieren. Eindeutig ist jedoch, dass der Neubau an der traditionellen Form eines von Hallen und Mauern umschlossenen Hofheiligtums festhielt. Aphrodite besass in Paphos auch in der spätesten Phase einer langen Kultgeschichte weder einen Tempel des klassischen griechisch-römischen Typus noch ein anthropomorphes Kultbild. Die Architektur des römischen Heiligtums verbindet zwar in Einzelformen westliche und östliche Traditionen; der Grundriss aber bewahrt die Erinnerung an die orientalischen Ursprünge der Kultstätte. Die Zerstörung des Heiligtums ist der starken mittelalterlichen Bautätigkeit wegen nicht präzise zu datieren. Doch hat die Verehrung der paphischen Göttin zweifellos die Herrschaft des Kaisers Theodosius I., der 391 alle heidnischen Religionen verbot, nicht überdauert.

DAS NORDOSTTOR

Rekonstruktion der Geschichte von Stadt und Heiligtum aus der Erde ist ein Aspekt der Grabungstätigkeit in Alt-Paphos. Einen zweiten Aspekt (und eine besondere Herausforderung) bildeten zwei aussergewöhnliche Teilprojekte: das archaisch-klassische Nordosttor und die mittelalterlichen Rohrzucker-Verarbeitungsanlagen. Die Ausgrabung des Nordosttors im Verband eines 110 Meter langen, stellenweise noch bis zu 2,30 Meter Höhe erhaltenen Mauerzuges erschloss einen Befund, der in seiner Weise archäologisch und historisch einzigartig ist. Ein auf das Jahr genau datierbarer geschichtlicher Vorgang (bisher höchstens aus einem Halbsatz in Herodots Bericht über den Ionischen Aufstand zu erschliessen) lässt sich hier mit überraschender Präzision aus der Erde rekonstruieren: der Verlauf der Belagerung der Stadt durch eine persische Armee im Jahre 498 v. Chr. Die angreifenden Truppen füllten den Stadtgraben auf und trieben eine ausgedehnte Belagerungsrampe gegen die Mauern vor, die mindestens 7 Meter Höhe über der Grabensohle erreichte. Über 500 eiserne und bronzene Pfeil- und Speerspitzen zeugen von der Intensität der Kämpfe; ein Bronzehelm korinthischen Typs und Bruchstücke eines eisernen Helmes sind die ersten griechischen Schutzwaffen, die auf dem Schlachtfeld selbst gefunden wurden.

Der in altorientalischen Armeen übliche Belagerungsangriff mit hölzernen Wandeltürmen erklärt die Gegenmassnahmen der Verteidiger. Sie trieben unter der Stadtmauer Stollen in den schuttgefüllten Graben vor und schafften mehr und mehr Rampenmaterial ins Stadtinnere. Der so entstehende Hohlraum wurde mit Holzwerk abgestützt und die Abspriessung schliesslich in Brand gesetzt. Das plötzliche Einsacken eines Teils der Rampe über dem Stollenende zielte darauf, die schwer beweglichen Belagerungstürme umzustürzen; ob die Operation gelang, wissen wir nicht. Die Ausgrabung der Toranlage hat in jedem Fall gezeigt, dass die persischen Truppen schliesslich das Tor forcierten. Alt-Paphos blieb bis in die Zeit Alexanders des Grossen unter persischer Herrschaft.

Die Ausgrabung des Nordosttors hat nicht nur eine der wenigen antiken Belagerungen, die sich im Detail rekonstruieren lassen, wiedergewonnen. Da zum Bau der Belagerungsrampe ein spätarchaisches Heiligtum ausserhalb der Mauern abgebrochen wurde, hat sie zugleich einen wichtigen chronologischen Fixpunkt für die Entwicklung der archaischen Plastik und der Silbenschrift in Cypern etabliert. Unter Hunderten von Votivmonumenten fand sich der Kopf eines Stadtkönigs von Paphos, dessen Kopfbedeckung Elemente ägyptischer und assyrischer Herrschersymbolik vereint.

MITTELALTERLICHE ZEUGNISSE

Die Entdeckung mittelalterlicher Industriebauten erweiterte zeitlich und sachlich unsere Forschungsperspektiven entscheidend und initiierte das erste industriearchäologische Forschungsprojekt in Cypern: die Untersuchung der Rohrzucker-Verarbeitungsanlagen der fränkischen Lusignan-Dynastie, deren Zentrum Kouklia bildete. Die Raffinerie von Kouklia-Stavros ist eine der wenigen Verarbeitungsanlagen im Mittelmeergebiet und im Nahen Osten, deren wichtige Funktionselemente noch gut erhalten sind. Sie ist zugleich der einzige industrielle Komplex dieser Art, der bisher systematisch untersucht wurde. Die im späten 13. Jahrhundert erbauten Installationen von Stavros zeugen von einer überraschend zweckrationalen Denkweise. Sie repräsentieren eine absolut funktionale, präzis am Betriebskonzept einer Massenproduktion orientierte Architektur, die strikt Mahlwerke, Kochhalle und Befeuerungsanlagen trennt.

Die Untersuchung von Kouklia-Stavros erschloss zum ersten Mal Technologie und Produktionsprozess eines für die mittelalterliche Wirtschaft Cyperns zentralen Industriezweiges. Sie erwies sich zugleich in weiteren wirtschafts- und technikgeschichtlichen Zusammenhängen als bedeutsam. Die Interpretation der Grabungsergebnisse im Kontext der zeitgenössischen Schriftquellen eröffnet neue Einsichten in Verfahren und Organisation der Rohrzuckerproduktion in der gesamten Levante wie in die mittelalterliche Mühlentechnologie. Die statistische Auswertung von mehr als 80 000 Fragmenten der typischen Industriekeramik mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms erschloss aufschlussreiche Korrelationen zwischen Produktion und Absatz von Rohrzucker. Aus der Notwendigkeit, anfänglich für die Deutung der ungewohnten Befunde auf westindische Parallelen zurückzugreifen, ergab sich die Frage nach der Rolle des transatlantischen Transfers. Zunehmend liess sich nachweisen, welch nachhaltigen Einfluss das mittelmeerische Produktionssystem auf die Entwicklung der Zuckerindustrie in der Neuen Welt ausübte. Doch jede Lösung birgt neue Probleme: die Lage Cyperns im Schnittpunkt westlicher und arabisch- islamischer Kultureinflüsse stellt die noch ungelöste Frage nach den Formen des Wissenstransfers, die den hohen technologischen Standard der cypriotischen Anlagen erklären..

 

 


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