Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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FAZ GEISTESWISSENSCHAFTEN Mittwoch, 21.06.2000 Nr.142   N 6

 

Darf der Papst unseren Boden küssen?

Ehrfurcht vor den Völkern oder Zeichen künftiger Herrschaft:
Die Bedeutung einer Geste in der Tradition politischer Symbole

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Johannes Paul II. am Köln-Bonner Flughafen 1987

In diesen Tagen, da der amtierende Papst achtzig Jahre alt wurde, zogen an uns wieder all jene Bilder vorüber, mit denen er sich der Welt wohl am eindrücklichsten eingeprägt hat: Wie er sich, kaum dass er das Land, das er soeben betreten hat, zur Erde herabbeugt, um den Boden des Landes, dessen Gast er sein wird, zu küssen. Niemand, der einer patriotischen Regung noch fähig ist, kann sich dem symbolischen Gehalt dieser Geste entziehen: Der höchste Würdenträger der Christenheit, dem doch allein noch der Fusskuss gebührt, gibt dem Land, das ihn empfängt, der Nation, die ihn jubelnd begrüsst, demütigst die Ehrerbietung zurück, die ihm selbst zuteil wird. Je älter der Papst wurde, je schwerer seinem Körper die tiefe Verbeugung zur Erde fiel, desto bewegter und dankbarer wurde sein Zeichen der Zuneigung und Verehrung entgegengenommen.

Allenfalls wenn das geküsste Land von einem diktatorischen Regime beherrscht wurde, mochte ein leiser Zweifel aufkommen, ob die Ehrerbietung nicht von unwürdigen Regenten skrupellos für das eigene Prestige verbucht werde. In der Wahrnehmung der meisten jedoch galt der Kuss dem Boden, der Nation, als einem abstrakten Wesen, das von allen Sünden gereinigt war, sobald die päpstlichen Lippen es berührten.

Der Gestus hat eine so unmittelbare Aussagekraft, dass offenbar keinerlei Arg sich regen kann, dass nicht einmal ein Bedürfnis aufkommt zu fragen, durch welche zeremonialen Traditionen diese Handlung wohl nahe gelegt, gedeckt oder angeregt worden sein mag. Die einschlägigen Handbücher über symbolische Handlungen und Zeichen geben keinen Anlass, den spontanen Ursprung des Gestus in Zweifel zu ziehen. Denn unter den zahlreichen Bedeutungsvarianten, die der Kuss in religiösen und abergläubischen Kulthandlungen annehmen kann, sucht man den Kuss des Bodens vergebens. Um aufgeklärt zu werden, muss man weit zurückgreifen auf die sehr verbreitete und einflussreichste Dichtungslehre des Barock, Emanuele Tesauros "Cannocchiale Aristotelico", ein dickes Buch, das zuerst 1654 in Turin erschien und im Jahre 1702 schon mindestens neun Mal wieder aufgelegt worden war. Ein Passus im dritten Kapitel gibt eine eindeutige Auskunft: "Das Küssen der Erde blieb das Symbol eines künftigen sicheren Besitzes" - "Quinci il baciar la Terra, rimase un Simbolo presago di sicuro possesso."

Dazu kam es nach dem gelehrten Tesauro in römischer Zeit, als König Tarquinius das Orakel befragt hatte, welcher von seinen Söhnen das Reich übernehmen solle, und die Antwort erhielt: derjenige seiner Söhne, der zuerst seine Mutter küsse. Daraufhin küsste der Sohn Junius Brutus die Erde, die er "metaphorisch für seine Mutter hielt, und er ergriff das Ruder der Regierung und machte sich zum Herrn seiner Mutter". Tesauro fügt verdeutlichend hinzu, dass Julius Caesar in Africa, als er dort zufällig in den Sand gefallen war, "aus dem Unglück ein Glück machte, indem er die Erde küsste und ausrief: Teneo Africa, und tatsächlich hat er dann über dieses triumphiert" Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Bodenkuss eine präsumptive Herrschaft und Unterwerfung anmeldet.

Die Frage ist nur, ob der Papst das weiss und der naiven Welt nur vormacht, er neige sich tief und in Ehrfurcht vor fremden Völkern, in Wahrheit aber daran glaubt, dass eine uralte, verschüttete Tradition dem Papsttum durch seinen Kuss den künftigen Besitz und die künftige Herrschaft über den geküssten Boden sichere. Im Mittelalter konnte ein falscher Subordinationsgestus gegenüber dem Papst, und sei er ihm nur in einem Gemälde zugewiesen worden, Anlass für einen Dauerkonflikt bieten. Heute kann man nicht nur in protestantischen Ländern mit einem unkundigen Publikum rechnen, dem eine geschichtliche beladene Gestik als eine Geheimsprache erscheint, der es keinerlei Bedeutung mehr abgewinnen kann.

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Griechenlands Ex-König Konstantin beim Besuch in Athen 1981

Es gibt aber Hinweise, dass wenigstens in der Hocharistokratie Europas diese Form der Erobererpraktik noch geläufig ist. Jedenfalls hat der Ex König Konstantin von Griechenland, als er 1981 wieder in sein verlorenes Königreich zurückkam, ebenfalls gleich den griechischen Boden geküsst - wahrscheinlich nicht nur, weil er die mitfühlenden Regungen seiner ehemaligen Untertanen für sich mobilisieren wollte, sondern auch, weil er den Anspruch einer künftigen Besitznahme und Unterwerfung des Landes unter seine Dynastie in der Erinnerung halten wollte.

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Gelindo Bordin nach seinem Olympiasieg im Marathonlauf 1988

Aber auch die professionellen Bodenkämpfer, die Radrennfahrer und Langstreckenläufer, kennen das Triumphgefühl, das dem scheinbaren Demutsgestus beigemischt ist: Der italienische Marathonläufer Gelindo Bordin küsste in Seoul 1988 die Erde, auf der er zum olympischen Marathon Sieg lief Vielleicht ist der Papst einer naiven persönlichen Anwandlung gefolgt wie der Marathonsieger, als er den Bodenkuss zum festen Bestandteil des Ankunftsrituals seiner Auslandsreisen machte. Aber es ist zumindest nicht belanglos, die andere Möglichkeit mit zu erwägen. Wenn dem Papst jene rhetorische Tradition, die zumindest seinen Beratern vertraut sein dürfte, bekannt war und er sie mit Absicht reaktiviert hat, dann erneuert er durch seine Geste einen Suprematsanspruch der katholischen Kirche. Niemand wird den Papst für so einfältig halten, dass er mehr als eine virtuelle und etwas anderes als eine rein geistliche Perspektive im Auge haben kann. Da die Erfüllung dieser Hoffnung denkbar fern und illusionär anmutet, würde er ein Phantast sein, wenn er die verborgene Bedeutung seines Bodenkusses öffentlich verkünden würde. Die konzentrierte, ganz aus dem Inneren kommende und dem Gewissen gleichsam konvulsiv entrungene Handlung hält alle Gedanken an Herrschaft und Unterwerfung strikt auf der Ebene des bloss geistlichen Wunschdenkens. Sollte der Papst jeweils einen Landbesitz anstreben, dann wäre er von vorneherein allenfalls als „inneres Reich" denkbar. Man sollte vielleicht überprüfen und über diplomatische Kanäle erkunden, ob unser Bundespräsident bei der nächsten Gelegenheit, wenn er den Boden des Kirchenstaates betritt, diesen küssen dürfe. Sollte der Papst diesen Akt zulassen, dann hätte er selbst an eine Eroberung nie gedacht.

 

MARTIN WARNKE 

 


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