Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

  

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Klassische Sprachen
Latein, Griechisch
KZU


Quelle:

Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Samstag, 19.08.2000 Nr. 192 65

 

 Zeitzeichen

Xenophobie des feinen Mannes

Der Sprachpurismus und seine falschen Prämissen

 

«Entwelschung» hiessen zu Beginn dieses Jahrhunderts die wenig erfolgreichen Bemühungen, die deutsche Sprache von französischen Ausdrücken zu reinigen. Solchen Sprachpurismus gibt es noch immer - nur richtet er sich heutzutage gegen Amerikanismen. Die Verfechter eines authentischen Deutsch übersehen indes, dass die Sprache ein offenes System darstellt. Sie ist kein nationales Standbild, sondern eine Baustelle.

«Lasset uns von aller Befleckung des Geistes uns reinigen (2. Kor., 7, 1). Und der deutsche Schreiber mit sprachlichem Kunst- und Ehrgefühl, der durch lebenslange Verbildung und Entwöhnung fest im Welsch haftet, sich aber von dieser entwürdigenden Natur- und Kunstwidrigkeit befreien und zu reiner, edler Ausdrucksform emporläutern will, soll liebreich Hilfe finden, so reich, wie ich sie zu bieten und der im Kriege verteuerte Raum sie zu gestatten vermag.»

 

So tröstlich wandte sich einst Eduard Engel an seine Leser. «Entwelschung», so hiess sein Werk, war ein «Verdeutschungswörterbuch für Amt, Schule, Haus, Leben». Offenbar vom Erfolg beflügelt, brachte sein Verleger Hesse & Becker in Leipzig nach Jahresfrist ein zweites Bändchen von Engel heraus, «Sprich Deutsch! Zum Hilfsdienst am Vaterland», erschienen «im vierten Jahr des Weltkrieges ums deutsche Dasein», 1918. Ein Schiller-Zitat stellte er ihm voran: «Die deutsche Sprache wird die Welt beherrschen.»

Daran, was Entwelschung bedeuten sollte - die Säuberung der «deutschen Mengselsprache» von Fremdwörtern, insbesondere solchen der Sprache des englischen und des französischen Feindes -, erinnern sich nur noch Spezialisten. Engels schwarze Liste der Welschwörter ist nur noch belustigend. Keine «Kolonien» sollte es mehr geben und keinen «Kometen», keinen «Komfort» und keine «Komik». Die «Korruption» war ihm genauso zuwider wie der «Materialismus», die «Nonchalance» wie der «Notar» und die «Nudität». Statt sich zu «rasieren», empfahl er, sich «abzubarten». Nicht einmal die «Strophe» liess er durchgehen, und Goethes und Schillers «Xenien» sollten «Stachelverse» werden.

Neue Variante

Eduard Engel ist zu Recht vergessen. Sein Erbe zu bewahren, so scheint es, fühlt sich jedoch so mancher verpflichtet. Die Welschen wohnen heute freilich jenseits des Atlantiks. Schon Engel verzieh dem «Run auf die Bank» nicht, dass er undeutsch war. Und eben das bemängelt neuerdings Walter Krämer, der ihm, wahrscheinlich ohne ihn zu kennen, nacheifert, wenn manche seiner Zeitgenossen «fun» statt «Vergnügen» haben wollen. «Affig, peinlich oder dumm» schimpft er die «Verleugnung der eigenen Sprache und Kultur», was er direkt von Engel entlehnt haben könnte. Krämer ist deshalb mit seiner eigenen Variante der Entwelschung an die Öffentlichkeit getreten. «Modern Talking auf Deutsch. Ein populäres Lexikon» heisst sie, jüngst bei Piper erschienen.

Engel, das mag man ihm zugute halten, war im Krieg. «Der einzige Zusatz, der den Welschwörtern gebührt, ist nicht die irreführende Bezeichnung ihres Ursprungs, sondern der verachtungsvolle Spott, und mit dem halte ich nicht zurück», bekannte er offenherzig. Ganz ähnlich hält es aber auch Krämer, der deutlich macht, worum es ihm geht, wenn er den «obligaten Diener über den Atlantik» beklagt. Die Eintragungen in seinem Wörterbuch bestehen zum guten Teil aus verachtungsvollem Spott, der nicht einmal komisch ist. Vom «cash flow» schreibt er: «Wo trinkt die cash cow? Am cash flow.»

Sprache ist eine demokratische Sache. Das einzuräumen, fällt Krämer nicht leichter als Engel. Beide gehören zu denen, die darunter leiden, wenn jemand das reine Volkstum besudelt, und sprechen im Namen einer guten Sache: der Allgemeinverständlichkeit der Volkssprache, gegen die niemand etwas haben kann. «Fun» und «highlight» sind heute Volkssprache. Sich damit abzufinden, ist schwer - für die jedenfalls, die denken, vermeintliche Reinheit bewahren zu müssen.

Sprachpurismus ist die Xenophobie des feinen Mannes. Er ist Ausdruck einer Vorstellung, gemäss der ein Volkskörper und mutatis mutandis eine Sprache etwas Integres sei, das nicht verunreinigt werden darf. Weg mit dem Fremden - das ist die Geisteshaltung. Die Auseinandersetzung mit ihr kann nicht auf der Ebene der Analyse von Einzelfällen geführt werden, denn eine solche impliziert, dass das Anliegen des Puristen prinzipiell als berechtigt anerkannt wird.

Kein Zweifel kann daran bestehen, dass der alltägliche Gebrauch vieler Anglizismen von Unverstand, mangelndem Stilgefühl und sprachlicher Unbeholfenheit zeugt. Kein Zweifel auch, dass statt manch englisches Wort ein Ausdruck anderer Provenienz treffender wäre. Aber gilt das nicht in gleichem Masse für reinrassig deutsche Wörter? Schreiben und sprechen nicht viele Menschen auch ohne Amerikanismen so, dass es jedem, der auch nur einen minimalen Sinn für sprachliche Ästhetik hat, weh tun muss? Wird nicht pausenlos vieles gesagt und geschrieben, das nicht nur unbedacht und inhaltsleer, sondern auch in sprachlicher Hinsicht haarsträubend ist? Warum wird denen, die uns tagtäglich in Zeitungsartikeln, in Talkshows, im Radio und wenn sie im Bus hinter uns sitzen, ihre linguistischen Vergewaltigungen zumuten, nicht öfter eine Lektion erteilt? Bezeichnenderweise trifft der Zorn der Gralshüter aber nur den, der die deutsche Sprache durch den Gebrauch englischer bzw. welscher Wörter verunreinigt. Und das hat Tradition, deutsche Tradition.

Das Lexikon des Englischen - von dem vieler anderer Sprachen zu schweigen - besteht zur Hälfte aus Wörtern lateinischen oder französischen Ursprungs, und heute ist die Sprache so aufnahmebereit für anderssprachige Vokabeln wie eh und je. Trotzdem ist noch nie ein englischer Lexikograph auf die Idee gekommen, diesen Teil des Wortschatzes auszugrenzen. Die japanischen «zori» sind genauso englisch wie die französische «mousse», das spanische «barrio» und die deutsche «angst», alle im gleichen Wörterbuch. Wörtern dieser Art ihren Platz nicht im Alphabet, sondern in einem segregierten Band zuzuweisen, sie ins lexikographische Ghetto zu schicken, ist eine deutsche Erfindung. Mit dem «Fremd»wörterbuch wurde ebenso wie mit dem «Fremd»arbeiter Apartheid avant la lettre praktiziert. Das Fremde musste abgegrenzt werden, in der Klassifikation, in der Behandlung.

Gegen diese Haltung richtet sich, wer Anstoss an Entwelschungswörterbüchern nimmt oder solchen, die sich heute zeitgemäss gegen Amerikanismen richten. Es geht um kulturelle Abwertung, nicht um den einzelnen Ausdruck. Wer zwingt mich, wer zwingt einen, von «cash flow» und «share holder value» zu reden? Ich beobachte, dass Leute, die mit Geld umgehen, es tun. Vielleicht versickert der «cash flow» bald wieder, vielleicht bleibt er uns erhalten. Dann wird er genauso deutsch sein wie «Telefon» und «Balkon». Wer würde schon behaupten, dass die «green card» ein besonders glücklicher Griff war? Aber wird die deutsche Seele daran Schaden nehmen? Oder auch an Tausenden von «green cards»? Wohl eher an «Kinder statt Inder», trotz dem schönen Reim. Es geht nicht um Wörter, sondern darum, wofür sie missbraucht werden. Wie viel leichter ist es doch, zu sagen, «ich hasse diese Wörter», als «ich hasse die, die sie sprechen».

Sprache als offenes System

Wenig steht dafür, die inkriminierten Ausdrücke gegen die Praxis der deutsch sprechenden Menschen gewaltsam einzudeutschen, wie einst Engel und nun Krämer. Vieles steht aber dagegen, die Illusion aufrechtzuerhalten, die Sprache sei ein hermetisches Territorium, dessen Grenzen es wie die Landesgrenzen im Krieg oder den Arbeitsmarkt zu verteidigen gilt. Sprachen sind offene Systeme, immer im Fluss. Das müssen sie sein, denn sie sind dazu da, alles auszudrücken, was wir denken können. Nicht einschränken sollen sie, sondern emanzipieren. Den Anschein, geschlossene Systeme zu sein, haben ihnen nur die Lexikographen gegeben mit ihren oft und notgedrungen willkürlichen Entscheidungen. Ein Wort gehört dazu, ein anderes nicht. Bei den europäischen Sprachen ist die Vorstellung, die dadurch entsteht - es gibt ein Buch, in dem steht Deutsch, und ein anderes, in dem steht Englisch, und ein drittes, in dem steht Niederländisch -, sehr irreführend. Denn sowieso teilen diese Sprachen einen grossen Teil ihres Wortschatzes. Wo eine Sprache aufhört und eine andere anfängt, was zu einer Sprache gehört und was nicht, kann niemand ohne Willkür sagen.

Die Sprache ist ein offenes, aber auch ein selbstregulierendes System. Sie wird von ihren Sprechern so entwickelt, dass sie Verständigung gewährleistet. Nicht verstanden zu werden, ist eine wesentlich wirksamere Sanktion abweichenden Sprachgebrauchs als der erhobene Zeigefinger des vom Sprachnationalismus vergangener Zeiten beseelten Puristen. Die Sprache ist kein Standbild, sondern eine Baustelle. Dichter, Journalisten, Lehrer und die «kids» in der Disco leisten alle ihren Beitrag. Die meisten von ihnen können auf Entwelschung verzichten.

Florian Coulmas 

 

 


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