Materialien für den Sprachunterricht

Sprachunterricht: Wortschatzarbeit

"Schwierige" lateinische Wörter: Wie kann man sie verstehen und erfolgreich lernen?

Latein ist bekanntlich eine Sprache mit verhältnismässig wenig Wörtern - die einen umso grösseren Anwendungsbereich aufweisen. Für die Schülerinnen und Schüler entsteht daraus ein beträchtliches Problem: Sie müssen nicht selten für ein lateinisches Wort drei, vier deutsche Wiedergaben lernen, deren Zusammenhang manchmal erst noch nicht ersichtlich ist. Die Folgen sind den Lehrkräften bestens bekannt: Die Wörter gehen allzu rasch vergessen, die Übersetzungen werden unbeholfen-hölzern und unzutreffend. Die Wörter sind "schwierig", da unverstanden.

Was kann die Lehrkraft dagegen tun? Manches wird versucht, der Erfolg ist höchst unterschiedlich. Wichtig für den Lernerfolg ist die Erfüllung der folgenden Kriterien: Die jeweilige Bedeutungsweite muss
- verständlich werden,
- anschaulich werden
- und von Anfang an in (lektüre-)genügender Breite und Offenheit gelernt werden.
Hier soll eines von mehreren Verfahren vorgestellt werden, das die drei Kriterien erfüllt und bei bestimmten Wörtern einigen Gewinn bringt.

Der didaktische Hintergrund, den auch die Schülerinnen und Schüler sehr früh erfahren müssen:

  1. Ein Wort hat nicht einfach eine oder mehrere Bedeutungen, sondern eine Bedeutungswolke, ein Bedeutungspotenzial, sehr oft mit einem Bedeutungskern, darum herum ein fast beliebig weites und dehnbares Umfeld.
    Es gibt eine Vergleichsmöglichkeit: Ein Wort ist wie ein Magnetknopf: Ein Magnetknopf ist ein sinnlich fassbarer Gegenstand, der eine nicht sichtbare Kraft, ein Potenzial, hat; er entspricht einem Wort mit seinen beiden Hauptaspekten: ein sinnlich fassbares Ding = Ausdruck/Bedeutungsträger, das eine nicht sichtbare Bedeutung hat, die eben auch eine Kraft oder ein Potenzial ist, mit einem Zentrum und einem nicht scharf begrenzbaren, weiten Umfeld.
  2. Keine Bedeutung ist abschliessend anzugeben, weder im Lehrbuch noch im Lexikon. Gerade in Wortverbindungen, in Kollokationen, zeigen sich oft extreme Bedeutungsentwicklungen.
  3. Erst im gegebenen Text lässt sich bekanntlich die Vielfalt einengen, durch den Kontext. Diese Fähigkeit, aus gelernten Bedeutungen mit Hilfe des Kontextes die wahrscheinlichste Bedeutung der Wörter in ihrem Zusammenhang zu erkennen, heisst Verstehen.

Das Verfahren:
Einsatz von fruchtbaren und möglichst kraftvollen Prototypen:

Das Verfahren eignet sich für jene recht zahlreichen Wörter, bei denen man eine Kernbedeutung ausmachen kann, die sich in ungezählten Anwendungen, v.a. in Kollokationen, so reich manifestiert, dass wir im Deutschen zu stets anderen Wiedergaben greifen müssen. (Mit "Kernbedeutung" ist übrigens nicht eine etymologische Grundbedeutung gemeint).

Als Beispiel sei das so wichtige Wort "petere" erwähnt: In der "Ostia" kommt es bereits in Lektion 2 (Schüler: L 2, 12-13-jährig). Der Stowasser bringt etwa 15 deutsche Wiedergaben, die Lehrbücher 4-5 oft ohne Zusammenhang. Was soll man als Lehrer und Schüler da machen? Da bietet sich das sog. Rondogramm an:

Rondogramm von petere
  • Der fruchtbare und kraftvolle Protoyp ist "anpeilen". In der definitiven Übersetzung ist er jedoch "verboten" (wenigstens meistens), darum die eckige Klammer;
  • entscheidend ist das X und Y bzw. das "etc.": Dies bezeichnet die Unabgeschlossenheit, Dehnbarkeit der Bedeutung, die ein stets neues Überlegen und Befragen des Kontextes verlangt.

Die SchülerInnen nehmen dies mit grosser Begeisterung auf, sie haben den kraftvollen Prototyp ständig präsent - und das fruchtbare "etc." spielt: Als Beispiel aus einer viel späteren schriftlichen Prüfung sei die Geschichte von Davus erwähnt, der einen Brief übrbringt und dann (eben ein Davus) einfach stehen bleibt und nicht gehen will: Nam praemium petit. Die meisten SchülerInnen schrieben "... er will ein Belohnung (haben)"; eine lateinschwache(!) Schülerin schrieb gar "... er ist erpicht auf ein Belohnung". Auf diese Weise hat man als Lehrkraft mit petere nie mehr seine liebe Not, denn der Prototyp ist wirklich fruchtbar; er reicht für die gesamte spätere Lektüre, weil in ihm alles eingeordnet werden kann. Das ist eben so wichtig: alles Wesentliche aufs Mal zu bringen (und keine Salamitaktik zu befolgen), aber eben einprägsam, das bleibt weitgehend in den Gedächtnissen haften. Ungeschickt ist das Vorgehen mancher Bücher oder Wortkunden, die "petere" nach der Salamitaktik zunächst z.B. nur mit 1-2 Bedeutungen bringen und irgendwann später weitere Bedeutungen unerwartet nachfolgen lassen, etwa "bitten". Solche Salamitaktik ist didaktisch schlechter.

Unser Angebot:
Wir bieten Ihnen hier an:
3 PowerPoint Präsentationen:
1) petere
2) causa
3) Subjunktion cum,
dazu die jeweiligen Kommentare, die Sie auch als separates Word-Dokument vorfinden,
schliesslich die zugehörigen ausdruckbaren Karteikärtchen (Format A7).
Ausgehend von diesen drei Beispielen lassen sich Rondogramme für weitere Wörter konstruieren; wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie uns Ihre Beispiele und Erfahrungen mitteilen!
Mehr zum gesamten Thema und weitere Beispiele im Buch "Sprache und Allgemeinbildung" von Theo Wirth, Christian Seidl und Christian Utzinger. Es sind die folgenden Beispiele:
colere, contendere, litterae, ratio, virtus; gratia, fides; consulere findet sich auf der Website zum Buch, unter den Zusatzmaterialien, ebenso die PowerPoint-Darstellungen der genannten und weiterer Wörter (alles in Kapitel 6).

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