Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Dienstag, 29.02.2000 Nr.50   66

 

Ein seltener Schalttag

Zu seinen Voraussetzungen

Der 29. Februar 2000 ist ein Tag, den es eigentlich nicht geben dürfte. Haben wir nicht gelernt, dass der Schalttag in jedem durch vier teilbaren Jahr stattfindet, in jedem hundertsten aber ausfällt? In den Jahren 1700, 1800 und 1900 gab es keinen 29. Februar. Dass wir nun diesen Tag im Kalender haben, verdanken wir Papst Gregor XIII. Am 24. Februar 1582 erliess er die Bulle «Inter gravissimas» (abgedruckt im Magnum Bullarium Romanum IV 4, S. 11 f., § 9, Nachdruck Graz 1965), darin verfügte er: «anno vero 2000 more consueto dies bissextus intercaletur, Februario dies 29 continente - im Jahre 2000 aber soll nach gewohnter Weise ein Schalttag eingefügt werden, so dass der Februar 29 Tage enthält.»

Bemerkenswert ist zunächst die Zuversicht des Heiligen Vaters, dass dieser Tag überhaupt stattfinden würde, da man doch an das nahe Weltende glaubte und es in protestantischen Kreisen wieder einmal für 1566 erwartet hatte. Der Papst zeigte hier mehr Geduld mit dem Jüngsten Gericht als die von ihm gehassten Reformierten - hatte er doch nach der Pariser Bluthochzeit in der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 ein Te Deum zelebrieren lassen.

Wie kam er zu seiner Verfügung? Rom ist der Ort, wo der Kalender gemacht wird, und war dies, seitdem Julius Cäsar das Jahr wieder in Ordnung gebracht hat. Das altrömische Jahr begann im März - der 1. Januar wurde durch Senatsbeschluss erst 154 v. Chr. Jahresbeginn - und hatte ursprünglich zehn Monate, wie die römischen Zahlen in den Monatsnamen bezeugen: septem - sieben im September, octo - acht im Oktober, novem - neun im November und decem - zehn im Dezember. Der König Numa soll dann im Jahre 717 v. Chr. die Monate Januar und Februar angehängt und festgelegt haben, dass alle zwei Jahre nach dem Jahresendfest der Terminalia am 23. Februar ein Schaltmonat namens Mercedonius eingeschoben werden sollte, um die Monate mit dem Sonnenlauf und den Jahreszeiten in Übereinstimmung zu bringen. Die dafür zuständigen Priester, die Pontifices, aber unterliessen dies, wobei gemunkelt wurde, dass die römischen Bankiers an kurzen Monaten interessiert seien, um rascher an ihre Zinsen zu kommen.

Im Jahre 47 v. Chr. fehlten 67 Tage gegenüber dem Sonnenjahr, so dass beispielsweise das Weinlesefest der Meditrinalia lange vor der Ernte im Kalender stand: der 11. Oktober war so weit nach vorne gerutscht, dass noch keine Traube reif war. Um diesen Missstand zu beheben, beauftragte Cäsar den alexandrinischen Astronomen Sosigenes, den er während der Flitterwochen mit Kleopatra in Ägypten kennengelernt hatte, mit der längst fälligen Kalenderreform. Sosigenes fügte daraufhin dem Jahre 46, das bereits einen Mercedonius von 23 Tagen besass, die Fehltage hinzu, so dass jenes Jahr 445 Tage hatte. Zugleich erhielten die Monate ihre heutige Tageszahl, der Februar 28. Der damals festgelegte vierjährliche Schalttag wurde aber nicht als 29. Februar gezählt, sondern nach den Terminalia eingefügt und benannt nach dem folgenden Tag, das war der 24. Februar, der Zählweise der Römer gemäss der «sechste Tag vor den Kalenden des März». Somit hiess der Schalttag, rückwärts vom 1. März gerechnet, der «zweimal Sechste» - bissextus, so noch im Text der Papstbulle von 1582.

Bei den Römern galt der «dies bissextus» als Unglückstag. Als Valentinian I. im Jahre 364 am Tage zuvor zum Kaiser gewählt worden war, nahm er lieber das Risiko auf sich, dass ihm ein anderer Prätendent zuvorkam, als am Schalttag sein Amt anzutreten, und wartete eine bange Nacht. Augustinus überliefert, dass die Römer das gesamte Schaltjahr als unglückbringend betrachteten und dann auch keine Weingärten anlegten. Ähnlichen Aberglauben bezeugt noch der Chronist Thietmar von Merseburg ums Jahr 1000.

Der Julianische Kalender kam dem Sonnenjahr sehr nahe, doch war er alle 129 Jahre einen Tag zu lang, wie sich an der Verschiebung der Sonnenwenden und der Tagundnachtgleichen erkennen liess. Man wusste nicht, dass der Schalttag alle hundert Jahre ausfallen muss, was aber wiederum alle vierhundert Jahre zu unterbleiben hat. Bemerkt wurde dies zuerst durch den Universalgelehrten Petrus Alliacus, den Kanzler der Pariser Universität, dessen Schriften sowohl für Kolumbus als auch für Luther bedeutsam waren. Ein Ansatz zur Kalenderreform unter Sixtus IV., der die Sixtinische Kapelle in Rom erbaute, scheiterte, als der päpstliche Hofastronom Regiomontanus - eigentlich Johann Müller aus Königsberg in Franken - 1476 vorzeitig starb.

Erfolg hatte dann - wenn auch nicht sofort - die Reform Gregors XIII. Boncompagni. Er setzte eine Kommission ein, die im «Schweizersaal» der Villa Mondragone bei Frascati in den Albaner Bergen tagte. Die Villa war benannt nach dem Drachen im Wappen des Papstes und war soeben auf einem Grundstück errichtet worden, das der Papst von dem schweizerischen Kardinal Marcus von Hohenems, italienisch Altemps, erworben hatte.

Die Kommission schlug die Neuregelung vor, die der Papst am 24. Februar, kaum zufällig am Tag nach den Terminalia des Jahres 1582, verkündete. Sie sah die Streichung von zehn überzähligen Tagen vor. Um keine grösseren Kirchenfeste zu tilgen, wurde die Zeit vom 5. bis zum 14. Oktober gewählt. Diese beiden Tage folgten unmittelbar aufeinander - hier gibt es tatsächlich eine rechnerische Lücke im Kalender. Die dadurch benachteiligten Heiligen, unter ihnen die 4000 Märtyrer vom 12. Oktober, mussten eben einmal aussetzen; und das eben von Papst Paul V. zum Gedenken an den Seesieg 1571 bei Lepanto über die Türken eingeführte Rosenkranzfest am 7. Oktober konnte in diesem Jahr nicht stattfinden.

Die Reform wurde in den katholischen Ländern sofort, in den anderen mit Verzögerung eingeführt. Im Jahre 1700 geschah dies im protestantischen Deutschland, wo der 1. März auf den 18. Februar folgte. Grossbritannien übernahm den Gregorianischen Kalender 1752, Schweden 1753. Die Russen erhielten die neue Zeit 1918 durch Lenin, die Griechen 1923 unter Georg II., die Türken von Kemal Pascha 1927. Die nichtchristliche Welt weiss inzwischen auch, dass ein Kalender eine Gebrauchsregelung und keine Bekenntnisfrage sein sollte.

Der 29. Februar 2000 ist mithin ein Tag, den es nur alle 400 Jahre gibt. Aber auch das ist nicht sicher, denn das dadurch geregelte Jahr ist um einige Minuten zu lang. Irgendwann muss dieser Schalttag wieder einmal ausfallen, doch konnten sich die Himmelskundigen bisher nicht darüber einigen. Der 1795 zum Direktor der Pariser Sternwarte ernannte Joseph Lalande plädierte für das Jahr 3600, der 1877 in Münster verstorbene Astronom Eduard Heis bereits für 3200 n. Chr. Doch haben die Gelehrten noch einige Zeit, sich darüber klarzuwerden. Sollte es gelingen, müsste es wohl wieder in Rom geschehen, in der Ewigen Stadt.

Alexander Demandt

 


Bild
Der Kalender von Gezer
(15KB)

 

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Der Julianische Kalender

Tierkreisbilder (Leidener Aratea)

Die Planetengötter von Orbe

Ein römischer Steckkalender aus der Antike

 


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