Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Latein, Griechisch
KZU


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Neue Zürcher Zeitung LITERATUR UND KUNST Samstag, 29.04.2000 Nr.100  87

 

Ein Philologe an Zwinglis Seite

Zum 500. Geburtstag des Zürcher Humanisten Jacob Wiesendanger, genannt Ceporinus (1500-1525)

Von Christoph Riedweg

Die von humanistisch-reformatorischen Ideen geleitete Einrichtung einer höheren Schule durch Zwingli in Zürich, die als Nukleus der späteren Universität zu betrachten ist, hatte nicht zuletzt die gründliche Ausbildung der Studierenden in den biblischen Sprachen zum Ziel. Als erster «Leser» für Griechisch und Hebräisch wurde im Frühling 1525 der junge Jacob Wiesendanger aus Dinhard bei Winterthur mit dem Humanistennamen Ceporinus berufen, der sich bereits mit gräzistischen Publikationen hervorgetan hatte und seit 1520 mit Zwingli in Kontakt stand. Der folgende Beitrag geht den Spuren dieses vor 500 Jahren geborenen Zürcher Philologen nach.

Zürichs Universität ist, im europäischen Kontext betrachtet, bekanntlich ein recht junges Gebilde: 1833 auf Beschluss des Volks gegründet, kann sie sich bezüglich Alter und (daraus abgeleiteter) Würde mit traditionsreichen Hochschulen wie Heidelberg (1385/86) und Basel (1459/60) oder gar Oxford (Anfang des 13. Jahrhunderts) und Bologna (Ende des 12. Jahrhunderts) nicht messen. Bei näherer Betrachtung reichen die Wurzeln aber immerhin bis in die Anfänge der Reformation zurück, und zwar nicht allein, was die Theologie betrifft. Vom Beispiel des Humanisten Erasmus von Rotterdam (1469-1536) inspiriert, der 1517 im heute belgischen Leuven das «Collegium trilingue» (dreisprachiges Collegium) als höhere Bildungsinstitution neben der dortigen Universität eingerichtet hatte, plante auch Huldrych Zwingli (1484-1531) für Zürich eine Bildungsreform, welche insbesondere die gründliche Schulung angehender Pfarrer in den biblischen Sprachen Hebräisch und Griechisch sicherstellen sollte.

Ohne Beherrschung derselben - so Zwingli 1523 in seiner Erziehungsschrift «Auf welche Weise edle Jugendliche ausgebildet werden sollen» - könne das Wort Gottes schwerlich «rein erfasst werden». Daneben beliess Zwingli auch die «lingua franca» Latein in ihrem Recht. Nach der berühmten Losung des Humanismus galt es, die Jugend «zu den Quellen» (ad fontes) zurückzuführen (dies, obwohl die griechischen und lateinischen Texte nach Meinung des sittenstrengen Reformators nicht wenig ethisch Bedenkliches enthielten; doch ein «durch Glauben und Unschuld gewappnetes Herz» könne, wie einst Odysseus an den Sirenen, unversehrt an diesen Dingen vorübergehen . . .).

Institutionell liess sich das humanistisch-reformatorische Programm in Zürich dadurch verwirklichen, dass Stiftspfründen in theologisch-philologische Professuren umgewidmet wurden. Deren Inhaber - «wohlgeleert kunstrych sittig männer», wie es im Reformplan von 1523 heisst - sollten

«alle tag (ußgenommen fyrtag und frytag) offentlich

in der heyligen gschrifft, ein stund in hebreischer, ein

stund in griechischer, und ein stund in latinischer

sprache, die zu rächtem verstand der göttlichen

gschrifft ganzt nodtwendig sind»,

 lesen und in ihren «Lezgen» (lectiones, also Vor- Lesungen) für Interessierte aus der Stadt und vom Land unentgeltlich lehren. Auch eigentlicher Sprachunterricht war vorgesehen. Zum ersten «Leser» der griechischen und hebräischen Sprache ernannten Probst und Kapitel am 14. April 1525 auf Vorschlag Zwinglis den jungen Jacob Wiesendanger mit dem Humanistennamen Ceporinus (von griechisch keporós, wörtl. «Garten-» oder auch «Feld-, Wiesenaufseher»), der vor 500 Jahren in Dinhard bei Winterthur geboren wurde - Grund genug, an diesen weithin vergessenen Zürcher Philologen zu erinnern, der nicht nur die Zeitgenossen mit seiner Sprachkompetenz stark beeindruckte, sondern auch nach dem allzu frühen Tod durch seine gräzistischen Publikationen, besonders die vielgerühmte Kurzgrammatik der griechischen Sprache, über den engeren Wirkungskreis hinaus bekannt blieb.

CURRICULUM VITAE

Über die Jugendzeit Ceporins, dessen Vater anscheinend ein wohlhabender Bauer und Ziegler in Dinhard war, ist wenig Sicheres bekannt. Er soll zunächst in Köln studiert haben. Als 18jähriger ist er dann in Wien als «scolaris juris» eingeschrieben. Bereits 1520 hatte er unter den dortigen Studenten den Ruf, ein kompetenter und erfolgreicher Griechischlehrer zu sein. Im Rahmen eines Studienaufenthalts beim deutschen Humanisten und renommierten Hebraisten Johannes Reuchlin (1455-1522) in Ingolstadt erwarb er sich im Sommer desselben Jahres überdies gute Kenntnisse in der Sprache des Alten Testaments, was ihn für den Zürcher Reformator besonders wertvoll machen sollte. Zwingli stellt später in seinem Nachruf das Verhältnis der beiden so dar, als habe Ceporin Reuchlin das, was er von diesem «aus dem Allerheiligsten der Hebräer empfangen» habe, «mit griechischer Literatur aufwiegen können». Eine rhetorische Übertreibung, gewiss; doch zeigt sie die Wertschätzung, die Ceporin auf Grund seiner Griechischkenntnisse genoss.

Durch ein auf den 12. Dezember 1520 datiertes Empfehlungsschreiben an den Erasmus-Schüler Beatus Rhenanus (1485-1547), worin Zwingli Ceporin als «dreisprachigen und, soweit wir beurteilen können, in jeder Hinsicht gelehrten jungen Mann» preist, gelangt Wiesendanger anschliessend nach Basel, wo er als Korrektor im Dienste der Buchdruckerei Andreas Cratanders stand. Mit Beginn am 17. Oktober 1522 kann ihm Zwingli eine erste Lehrerstelle für Hebräisch und Griechisch in Zürich verschaffen. Zu seinen Schülern im Hebräischen zählen u. a. der über Jahre in Zürich tätige Luzerner Humanist und Freund Zwinglis Oswald Myconius (1488-1552), der 1532 dann in Basel Nachfolger Oecolampads als Antistes und Professor der Theologie werden sollte, und Zwingli selbst. Weitere Publikationen - darunter die ehrenvolle Aufgabe, die zitierte Erziehungsschrift Zwinglis mit einem Vorwort versehen 1523 in der neugegründeten Offizin des Johannes Bebel herauszugeben - führen Ceporin in den folgenden zwei Jahren immer wieder für einige Zeit nach Basel. Wohl in der zweiten Hälfte des Jahres 1523 heiratet er Elsbeth Scherer, die ehemalige Dominikanerin des Klosters Töss. Aus dieser Ehe ging eine Tochter namens Veronika hervor, die später die Frau des von Peter Frei vor kurzem eingehend untersuchten Pfarrers, Schulmanns und Gelehrten Konrad Klauser (etwa 1515-1567) wurde.

Nur wenige Monate nach seiner Berufung auf die Hebräisch- und Griechisch-«Lectur» verstarb Jacobus Ceporinus, noch keine 26 Jahre alt, am 20. Dezember 1525 völlig unerwartet - «gegen den Willen der Musen und ihrer Verehrer», wie Zwingli im Nachwort zur Pindar-Ausgabe Ceporins antikisierend schreibt, zu der er auf dessen Drängen eine (für die christlich-humanistische Haltung des Reformators sehr aufschlussreiche) Einleitung verfasst hatte. Zwingli führt den verfrühten Tod des als ernsthaft und überaus lauter charakterisierten Gelehrten, dessen ganzes Streben auf die Förderung der Gottesfurcht und der Gerechtigkeit unter den Menschen ausgerichtet gewesen sei, hauptsächlich auf Überarbeitung zurück.

Der feinfühlige Nachruf gerät ihm dabei unter der Hand zu einer Ermahnung an die Jugend: Wie oft habe er den «ungeheuerlich arbeitsamen Menschen» (homo monstrose laboriosus) bestürmt, ja gescholten, er solle stärker auf die Gesundheit achten und nach Tisch für drei Stunden nichts Anspruchsvolles oder Vertracktes lesen («so habe ich es nämlich auch selbst von den Medizinern, wenn auch spät, gelernt») - ohne Erfolg: Lektüre, so Ceporins Antwort, könne ihm nichts anhaben, denn keine Sache ergötze ihn mehr und stärker als fortwährendes Lesen. Aus Ceporins Beispiel zieht Zwingli etwas unvermittelt die Nutzanwendung für die «guten und wissbegierigen» jungen Leute und Heranwachsenden, sie müssten ihre Gesundheit pflegen: Es sei dies gleichermassen eine religiöse wie eine bürgerliche Pflicht, denn sittlich gute und intelligente Menschen, so Zwingli, seien ein «öffentliches Gut» (publicum bonum); also schade dem Gemeinwesen, wer sich vernachlässige. Dabei warnt Zwingli in geradezu aristotelischer Manier zugleich vor übertriebener Ängstlichkeit und mahnt das richtige Mass an.

CEPORIN ALS LEHRER

Welche Aufgabe kam nun Ceporin, dem gewissermassen ersten Zürcher Professor überhaupt, zu, dessen Lehrumschreibung heute etwa «hebräische und griechische Sprache und Literatur, mit besonderer Berücksichtigung des Alten Testamentes» lauten würde? In der Verordnung, mit der ihm am 5. Juni 1525 die Grossmünster-Pfründe des verstorbenen Chorherrn Konrad Hofmann zugesprochen wurde, heisst es dazu lediglich, «Ciprin» (wie er in Zürich gewöhnlich genannt wurde) solle «alle tag lesen uf ein tag hebraisch und den andern kriechisch» (sic!) und so «einen tag um den andern zuo» abwechseln. Den Inhalt seiner «Lezgen» solle er sich «allweg mit rat des schuolherren», d. h. Zwinglis, auswählen.

Genaueres über den Ablauf der Lesungen, die am 19. Juni 1525 mit der Behandlung der Genesis aufgenommen wurden, berichten u. a. Zwingli in der Einleitung zu den Erläuterungen zur Genesis und Heinrich Bullinger (1504-1575) in der Reformationsgeschichte. Jeweils um acht Uhr versammelten sich die Zürcher Geistlichen sowie die älteren Schüler der (etwa dem Gymnasium entsprechenden) Lateinschule im Chorgestühl des Grossmünsters. Im Anschluss an ein von Zwingli gesprochenes lateinisches Gebet, welches bei Bullinger erhalten ist, wurde die Textpassage, die behandelt werden sollte, zunächst von einem Studenten aus der lateinischen Vulgata vorgelesen. Darauf trug Ceporin den Abschnitt in Hebräisch vor, legte ihn sprachlich und inhaltlich auf lateinisch aus und wies auf Unterschiede zur Vulgata hin. Anschliessend las Zwingli selbst den griechischen Text der Septuaginta und erklärte ihn - ebenfalls auf lateinisch - «zu guter lehr und frucht». Schliesslich deutete in der Regel der Pfarrer von St. Peter, Leo Jud (1482-1542), in engem Anschluss an Zwingli die Perikope für ein weiteres Publikum auch noch auf deutsch aus.

Die philologisch genaue Arbeit am Text unter Vergleichung der verschiedenen Fassungen stand offenkundig im Zentrum, jedoch nicht um ihrer selbst willen, sondern mit Blick auf die praktisch- theologische Anwendung. Die sympathische Atmosphäre, die bei diesen (mehr an Seminarien als an Vorlesungen gemahnenden) Veranstaltungen herrschte, wird von Ceporins St. Galler Altersgenossen Johannes Kessler (um 1502-1574) so geschildert:

«In dem allem wirt nit underlassen das, so Paulus in bemeltem capitel (1 Kor 14) anzeigt und wil: das, so dem zuhörenden etwas bessers geoffenbaret, der redend schwig und sich berichten lass. Also da, so einer redt, der ander verstat es besser, zeigt er es früntlich an, der redend nimpt es früntlich uf, damit der war und clar verstand uf die ban gefürt werde.»

Für die Zeit Johann Jacob Ammanns und Rudolf Collinus', Ceporins Nachfolger für Griechisch und Latein, ist belegt, dass am Mittag und Nachmittag nebst rhetorischen und dialektischen Texten auch «gute latinische authores» als Stilmuster gelesen wurden, ferner griechischer Sprachunterricht erteilt und griechische Literatur - «ein historicus oder poeta» - gelesen wurde. Schon Ceporin, Verfasser einer angesehenen griechischen Grammatik, wird gewiss nebst dem Hebräischen auch Griechisch unterrichtet haben; zumindest dass er über Pindar «vorgelesen» hat, wird u. a. durch Zwinglis Ausführungen in Ceporins Ausgabe gesichert: Um den Nutzen einer genauen Lektüre dieses anspruchsvollen Lyrikers für das richtige sprachliche und stilistische Verständnis der Bibel zu dokumentieren, führt Zwingli dort verschiedene, für die philologische Ausrichtung der «Lezgen» lehrreiche Beispiele an, auf die er aufmerksam geworden sei, «als Ceporinus vorlas» (dum Coeporinus praelegeret - zu ergänzen: Pindarum).

CEPORIN ALS PHILOLOGE

Mit vier selbständigen Titeln, zu denen die Edition der Erziehungsschrift Zwinglis und die bei Ceporins Tod erst begonnene, 1531 von dem Basler Hebraisten Sebastian Münster (1488-1552) vollendete Ausgabe der hebräischen Grammatik des Rabbi Moses Kimchi (+1190) hinzukommt, ist das gedruckte Œuvre Ceporins im Verhältnis zu seiner kurzen Lebensdauer durchaus beachtlich. Es weist seinen Verfasser als typischen Vertreter des christlichen Humanismus aus. Neben dem 1524 bei Johannes Bebel in Basel mit einem Vorwort Oecolampads erschienenen griechischen Neuen Testament stehen auf «profaner» Seite die Ausgabe dreier im Humanismus beliebter geographischer und astronomischer Werke (Dionysios' Weltbeschreibung, Arats astronomisches Gedicht Phaenomena und Proklos' Sphaera, die 1523 zur Eröffnung der Offizin Johannes Bebels publiziert wurden) sowie die bereits erwähnte Edition Pindars (bei A. Cratander postum 1526 in Basel erschienen; es handelt sich um die erste vollständige Ausgabe der Epinikien dieses Lyrikers nördlich der Alpen). Zu grosser Verbreitung gelangte die von Ceporin selbst zweimal überarbeitete und nach seinem Tod ausser in Basel und Zürich auch in Paris, Köln und Antwerpen (z. T. in Bearbeitungen) wieder aufgelegte kurzgefasste griechische Grammatik, die an Zürcher Schulen offenbar bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch blieb.

Ausser der Konzentration auf die griechische Sprache und Literatur scheint für Ceporin als Gelehrten charakteristisch, dass er bei seinen Publikationen stets die Bedürfnisse und den praktischen Nutzen der Lernenden im Auge hatte. Mit der von Scholien und einer lateinischen Übersetzung begleiteten Edition der genannten Werke Dionysios', Arats und Proklos' wollte er, wie er im Vorwort festhält, den Heranwachsenden «ein überaus knappes Lehrmittel» (brevissimum enchiridion) an die Hand geben, welches es ihnen ermöglichen sollte, «gleichzeitig die Anfangsgründe der Geographie und Astronomie und die griechische Sprache bequem und in aller Kürze zu lernen».

Didaktisch-pädagogische Fähigkeiten stellte er ebenso mit seiner Grammatik unter Beweis, die wohl auf der Grundlage älterer Handbücher aus der eigenen Lehrtätigkeit heraus entwickelt wurde (ähnliches lässt sich von anderen griechischen Grammatiken sagen, die in jenen Jahren, den geistigen Bedürfnissen der Zeit entsprechend, in dichter Folge publiziert wurden). Anders als bisher vermutet, kann die älteste Fassung nicht das 1522 in Basel bei Valentin Curio erschienene «Compendium grammaticae graecae» sein (dieses gibt sich bereits im Titel als Überarbeitung zu erkennen: «vom Autor selbst von Grund auf verbessert und erweitert»). Als Urfassung ist wohl vielmehr der in der Zürcher Zentralbibliothek (leider ohne Titelblatt und Jahresangabe am Schluss) vorhandene «Iacobi Ceporini in grammaticen graecam commentarius» zu betrachten. Der Zürcher Drucker Christoph Froschauer rühmt im Vorwort zu der 1526 postum erschienenen, aber noch von Ceporin selbst besorgten dritten Auflage an dem beliebten, hauptsächlich aus der Formenlehre bestehenden Werk, dass es in seiner Kürze alles Wichtige biete und auch für Fortgeschrittene interessant sei - «denn es hat ganz die Art seines Verfassers: es steckt mehr darin, als man ihm ansieht».

Bemerkenswert ist u. a. auch die bereits von Zwingli im Nachruf hervorgehobene Tatsache, dass Ceporin zahlreiche Beobachtungen zu den dialektalen Verschiedenheiten des Griechischen eingeflochten hat. Zwar ist dies kein Einzelfall - die meisten Grammatiken jener Zeit äussern sich nach dem Beispiel ihrer griechischen und byzantinischen Vorläufer zu den literarischen Dialekten -; doch scheint bei Ceporin ein verstärktes Interesse an dieser Frage spürbar. Die Dialektvarianten werden in der frühesten Fassung mit Versen aus dem 7. Buch der Odyssee illustriert, in denen das Haus des Phäakenkönigs Alkinoos beschrieben wird. In den späteren Auflagen scheint die Textauswahl stärker von inhaltlichen Überlegungen bestimmt: Als erster Übungstext wird das wegen seiner ethischen und lebenspraktischen Ratschläge allgemein sehr geschätzte Lehrgedicht «Werke und Tage» von Hesiod vollständig abgedruckt, gefolgt von knappen grammatikalischen Erklärungen dazu und Hinweisen zur Metrik. Abgerundet wird das schmucke Büchlein mit einer in der dritten Auflage auf zwanzig verdoppelten Auswahl griechischer «Epigramme» (darunter auch berühmte Verse aus Homer), die nach Sachthemen angeordnet sind und, nicht anders als Hesiods Lehrgedicht, zugleich dem Sprachtraining und der Vermittlung von Ethik und Lebensweisheit dienen sollten (vgl. die Überschriften «Zum menschlichen Leben», «Zu Reichtum und Armut», «Über Genügsamkeit, rechtes Mass und Geldgier» usw.).

«Jacobus Ceporinus aus Zürich, ein in drei Sprachen hochgelehrter Mann, hat als erster in unserer Stadt, als ich noch ein Knabe war, die griechische und die hebräische Sprache öffentlich gelehrt», schreibt der berühmte Universalgelehrte Conrad Gessner (1516-1565) in seiner Bibliotheca universalis von 1545. Mit Ceporins kurzem Wirken an der von Zwingli neu gegründeten höheren Schule, die ohne Zweifel als Vorläuferin der Universität zu betrachten ist, waren die Grundlagen für den humanistischen Aufschwung Zürichs im 16. Jahrhundert gelegt. Nach seinem Tod wurde der philologische Unterricht weiter ausgebaut und die Last auf mehrere Schultern verteilt: Der angesehene Hebraist Conrad Pellicanus (1478-1556) konnte als sein Nachfolger für Hebräisch gewonnen werden; Ceporins Altersgenossen Rudolf Collinus (1499-1578) und Johann Jacob Ammann (1500-1573) lehrten Griechisch bzw. Latein in Verbindung mit Rhetorik und Dialektik. Einen ersten Höhepunkt erreichte dieser Aufschwung mit der Aufführung der Aristophanischen Komödie «Reichtum» (Plûtos) in der Originalsprache, welche am 1. Januar 1531 im «lectorium» des Grossmünsters stattfand (Zwingli selbst hatte die Musik dazu komponiert; unter den Mitwirkenden war u. a. auch der junge Conrad Gessner). Die Stückwahl könnte durchaus noch mit Ceporin in Zusammenhang stehen, hatte er doch 1520 in Ingolstadt Vorträge Reuchlins über Aristophanes' «Reichtum» gehört. Im lateinischen Prolog preist Collin voller Stolz das Erreichte und feiert die Stadt als neues Athen, wo Griechisch gepflegt wird (Jacent Athenae . . . / Stat Tigurum: et Atticae hic coluntur litterae usw.). Bleibt zu hoffen, dass Zürich diesem Erbe weiterhin Sorge trägt.

 

 


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