Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON Dienstag, 30.05.2000 Nr.125   65

 

Das weltweit grösste Freilichtmuseum

Roms antike Monumente im Wandel

Für Liebhaber des klassischen Altertums war Rom schon immer begehrtes Reiseziel. Die Stadt musste sich um diese Touristen nicht besonders bemühen, die antiken Monumente standen ja ohnehin da. Dieser Mangel an Aufmerksamkeit, gepaart mit der Unfreundlichkeit vieler Römer, war berüchtigt. Dieses Jahr ist vieles anders. Das Giubileo 2000 hat Ungewöhnliches in Gang gesetzt: Rom unternimmt gewaltige Anstrengungen, um seine Denkmäler ins beste Licht zu rücken.

Vieles wurde geplant; ob schliesslich alles realisiert wird, steht auf einem andern Blatt. Die zahllosen, bereits überall aufliegenden Prospekte und Broschüren versprechen mehr, als sie vorderhand halten können. So wird beispielsweise das seit Jahren geschlossene Antiquarium beim Kolosseum - ein Gebäude in bester Lage und lamentablem Zustand - ganz sicher seine Pforten weder im Jahr 2000 noch in nächster Zukunft öffnen. Mehr Hoffnung besteht für die Museen in den Diokletians-Thermen und in den Trajans- Märkten, beide «chiuso per restauro». In etlichen Museen wurden die Altbestände entstaubt, erneuert und ergänzt. Zusätzliche Ausstellungssäle oder gar ganze Stockwerke sind neu eingerichtet, so in der Villa Giulia (etruskische Kultur), im Palazzo Massimo delle Terme (für Liebhaber römischer Skulpturen, Münzen, Wandmalereien und Mosaiken), im Palazzo Altemps (die berühmten Skulpturensammlungen Altemps, Mattei, Boncompagni-Ludovisi), um nur die wichtigsten zu nennen. Und seit Mitte 1999 ist die Domus Aurea wieder zu besichtigen, für viele ein besonderer Leckerbissen.

Grossprojekte

Zwei ambitionierte archäologische Grossprojekte stechen ins Auge: zum einen die Ausgrabungen in den Kaiserforen links und rechts der Via dei Fori Imperiali, also im Zentrum der römischen Antike, zum andern der noch im Entstehen begriffene Parco Archeologico zwischen Via Appia Antica und Via Latina etwas ausserhalb der Stadt. Im Zentrum Roms durchläuft die Via dei Fori Imperiali die Talsenke zwischen Palatin, Kapitol, Esquilin und Viminal. In römischer Zeit war dieses Areal wie geschaffen für die Errichtung grosser Plätze. Auf engstem Raum entstand hier ein Forum neben dem andern. Zuerst das republikanische, dann in relativ kurzer Zeit (54 v. Chr. bis 107 n. Chr.) die kaiserlichen Foren von Cäsar, Augustus, Nerva und schliesslich Trajan, bis die Talsenke vollkommen überbaut war.

Dieser geschichtsträchtige Boden hat bis anhin kaum eine angemessene archäologische Gesamtwürdigung erfahren. Ausgrabungen fanden bei den Kaiserforen 1932/33 statt, aber Anlass war damals nicht etwa gelehrter Wissensdrang, sondern der imperiale Anspruch Mussolinis auf eine breite Paradestrasse. Vom Kolosseum bis zur Piazza Venezia wollte er sein Heer aufmarschieren lassen. Das im Mittelalter über den Foren entstandene Wohnquartier liess er niederreissen, um seine Via dell'Impero (Reichsstrasse) bauen zu können. Die archäologischen Ausgrabungen waren ein Nebenprodukt und alles andere als wissenschaftlich. Es muss von einer eigentlichen Zerstörung wertvollsten Kulturgutes gesprochen werden; viele Fragen wird man nie mehr beantworten können.

Heute wagt sich die Sovraintendenza ai Beni Culturali di Roma unter der Leitung von Silvana Rizzo an die Untersuchung noch unberührter Quadratmeter, die von Mussolinis Bauarbeitern verschont geblieben sind. Ein kühnes Unternehmen, dessen Komplexität und Umfang jeden Archäologen respektvoll zurückweichen lässt. Der gesteckte Zeitrahmen (Mitte 1998 bis Ende 1999) lässt es fast unmöglich erscheinen, die schier unglaubliche Fläche und Kubatur mit der geforderten wissenschaftlichen Akribie untersuchen zu können. Die Ausgrabungen sind denn auch nicht wie geplant heute noch in vollem Gange. Sie betreffen drei der Foren: 3500 Quadratmeter im Cäsar-Forum, 5500 Quadratmeter im Nerva- Forum und 6000 Quadratmeter im Trajan-Forum.

Was steckt hinter dem Aufwand? Es ist klar, dass auch jetzt nicht die wissenschaftliche Forschung treibender Motor ist, sondern das Anliegen der Stadt Rom, für das Giubileo das schlicht weltweit grösste Archäologiegelände zu schaffen. Es soll sich wiederum vom Kolosseum bis zur Piazza Venezia erstrecken. Die breite Via dei Fori Imperiali mit ihrem ohrenbetäubenden Verkehr erweist sich nun als ausgesprochen störend, und die verschiedenen Interessen der Metropole prallen hier unmittelbar aufeinander. Eine Schliessung der Strasse ist politisch nicht durchsetzbar. Zur Diskussion steht eine Untertunnelung, welche die Besucherströme von der einen Strassenseite auf die andere führt.

Der Trajan-Tempel

Die Ausgrabungen haben die Schliessung einiger sonst fürs Publikum zugänglicher Anlagen zur Folge. Mit einem luxuriösen Informationspavillon wird dieser Nachteil aufgefangen. Im Angebot sind auch kompetente Führungen durch das Grabungsgelände. Über eine Stunde kann man, bewehrt mit knallgelben Schutzhelmen, Archäologie hautnah erleben. Die führenden Archäologen erläutern auch die wichtigsten Resultate ihrer Arbeit. Als sensationell ist zu bezeichnen, dass der bis anhin an der Nordseite hinter der mächtigen Trajan-Säule vermutete Tempel des Trajan- Forums keineswegs dort stand; Sondierungen erbrachten nur negative Ergebnisse. Aufschlüsse über den tatsächlichen Standort des Tempels erhoffen sich die Archäologen nun von den Grabungen auf der gegenüberliegenden Schmalseite des Forums. Der Behauptung, der Tempel müsse sich hier befinden, kann sich aber Paul Zanker, Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, nicht anschliessen. Zu vieles ist für ihn noch offen.

Dass jedoch die architektonische Konzeption des Trajan-Forums neu überdacht werden muss, ist auch für ihn klar. Keine Mühe bekundet er mit der offenbar geplanten Beibehaltung der mittelalterlichen Baureste, welche über den römischen Trümmern zum Vorschein gekommen sind. Dass dies aber dem Verständnis für die ohnehin komplizierte römische Baugeschichte abträglich sein wird, liegt auf der Hand. Und dass die Besucher der Fori Imperiali römische Bauwerke sehen wollen und kaum mittelalterliches Gemäuer, lässt sich auch nicht abstreiten. Hier bahnen sich Probleme zwischen der Sovraintendenza und dem Assessorato al Turismo an, auf deren Lösung man gespannt sein kann.

Nicht nur auf dem Forum Romanum kommen sich die verschiedenen Ämter der Stadt in die Quere. Wie ein Blitz schlug Mitte März in der römischen Presse die Nachricht ein, dass das berühmte Pantheon, diese freistehende, gegen eine wunderschöne Piazza hin offene Rotunde, umzäunt und eingeschlossen werden soll. Die Rede ist von einem drei Meter hohen Gitter, angeblich aus Sicherheitsgründen und zum Schutz des Bauwerks; eine Anordnung der Soprintendenza ai Beni Architettonici. Barbarisch, lächerlich und völlig unnötig, meint nicht nur die italienische, sondern auch die internationale archäologische Fachwelt, und mit einer Protestnote erreichten sie eine vorläufige Einstellung der Arbeiten..

 Geneviève Lüscher

Informationen im Forum-Centro, täglich geöffnet von 9.00 bis 23.00 Uhr.
http://www.foriimperiali.com

 


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