Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung INLAND Dienstag, 25.07.2000 Nr.171   12

 

Ein römischer Marktplatz in Sursee?

Ausgrabungen im alten Städtchen

mjm. Sursee, 5. Juni

Ausgrabungen im luzernischen Städtchen haben ergeben, dass der Ort in römischer Zeit eine erheblich grössere Bedeutung gehabt haben muss, als bisher angenommen wurde. Er erfüllte offensichtlich die Funktionen eines «vicus», von dem aus die Gutshöfe der weiteren Umgebung gut erreichbar waren. Interpretationsprobleme gibt unter anderem ein sogenanntes Grubenhaus auf, in welchem römische Funde gemacht wurden, obwohl diese Bauten sonst eher ins Frühmittelalter datiert werden.

Archäologen der Luzerner Kantonsarchäologie sind in Sursee in den vergangenen zwei Monaten auf Überreste gestossen, die neue Einblicke in die Organisation und das Leben des Ortes in römischer Zeit geben. Als einmalig bezeichnete der Luzerner Kantonsarchäologe Jakob Bill an einer Medienkonferenz vom Montag die Entdeckung eines 20 Meter langen und 2 Meter breiten Platzes, der offenbar als Marktplatz gedient hat. In unmittelbarer Nähe wurden im Rahmen der gleichen Ausgrabungskampagne Hausgrundrisse aus römischer Zeit gefunden (NZZ 6. 6. 00). Für die Verwendung des Areals als Marktplatz wurden Indizien gefunden wie Pfostenlöcher - auf den Pfosten lagen die Bretter für die Auslage -, rund 150 Münzen geringen Werts aus dem 2. Jahrhundert sowie eine Fundstelle mit mehreren Angelhaken. «War darüber ein Fischverkäufer, der den Fischen beim Verkauf noch die Angelhaken zu entfernen hatte?», fragte Bill. Das ganze Areal im Bereich zwischen dem Schulhaus St. Georg und der Bahnhofstrasse wurde während der Ausgrabung vorerst nur als eine Ansammlung von Steinen wahrgenommen, auf der Keramik, Altmetall und vereinzelte Münzen lagen. Erst die weitere Untersuchung förderte eine lange Mulde zutage, die mit Steinen gefüllt und beidseitig mit einer Unmenge von Pfostenlöchern gesäumt war. - Als kleine Sensation werten die Archäologen, dass sie zum ersten Mal innerhalb der ehemaligen Römersiedlung Spuren von Kleinkindergräbern entdeckt haben. Wie Bill dazu ausführte, sei es in römischen Siedlungen vorgekommen, dass Kleinkinder und Fehlgeburten nicht auf einem Friedhof, sondern in den Wohnhäusern bestattet wurden. Dies sei aus eigenen Untersuchungen im römischen Gutshof von Triengen «Murhubel» bekannt. Weiter stiessen die Archäologen auf Reste von Steinhäusern, dies im Gegensatz zu den früher entdeckten Fachwerkbauten. Von einem Haus ist die Fundamentbasis erhalten geblieben, von einem andern Haus ist ein ganzes Kellergeschoss ausgegraben worden, das in späterer Zeit zum Brunnen umfunktioniert worden ist.

Rätselhaftes Grubenhaus

Rätselhaft erscheint den Archäologen die Entdeckung eines Grubenhauses. Solche Bauten werden gemeinhin ins Frühmittelalter datiert. Eigenartig sei, dass darin und darum herum nur römische und keine frühmittelalterlichen Überreste gefunden wurden, sagte Bill. Fragen werfe schliesslich der jüngste Fund von Silex-Splittern auf, die darauf hindeuten, dass an diesem Platz Feuerstein bearbeitet worden ist. Möglicherweise handle es sich dabei um einen jungsteinzeitlichen Werkplatz aus der Zeit zwischen 5500 und 2400 vor Christus, so Bill, der darauf hinwies, dass bei früheren Grabungen Gräber aus der Spätbronzezeit (1350/1300 v. Chr.) entdeckt worden seien. Die Grabungen werden Ende Juli unterbrochen und im September in der Nähe an einem neuen Ort wieder aufgenommen. Die Überreste müssen im Herbst einem Büro- und Geschäftsgebäude weichen.

«Vicus» Sursee

Schon seit rund hundert Jahren ist die römische Besiedlung des heutigen Stadtgebietes von Sursee bekannt. Mauern, Ziegel, Keramik und andere Fundstücke deuteten darauf hin. Aufsehen erregte 1917 die Entdeckung von römischen Wandmalereien, von denen sich laut Bill aber nur kleine Reste erhalten haben. Lange Zeit war unklar, ob die römischen Fundstücke von einem Gutshof, einer kleinen stadtähnlichen Siedlung oder einem Militärposten stammen. Erst die im Rahmen von Bauprojekten auf der Käppelimatt und der Chrüzliegg vorgenommenen Untersuchungen liessen erkennen, dass Sursee zur Römerzeit ein Verwaltungszentrum an einer Verkehrsachse, ein «vicus», war. Die kleine römische Siedlung diente bis ins dritte Jahrhundert für das Umland als städtisches und gewerbliches Zentrum. Die römischen Gutshöfe im Suren- und Wiggertal waren vom «Vicus» Sursee aus gut erreichbar. Rund 25 solcher Landwirtschaftsgüter wurden allein im Kanton Luzern entdeckt. Noch ungeklärt ist unter anderem, wo sich das Zentrum des «vicus» befand und wo die öffentlichen Verwaltungsbauten lagen.

Tag der offenen Grabung, Donnerstag, 27. Juli, in Sursee, Käppelimatt, von 17 bis 21 Uhr. Open- air Lichtbildvorführung auf Grossleinwand von 21 bis 22 Uhr..

 


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