Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Neue Zürcher Zeitung Ressort Feuilleton, 19. Februar 2002, Nr. 41, Seite 62

 

Der Streit um Troia - und kein Ende

Ein wissenschaftliches Symposion in Tübingen

Am vergangenen Wochenende fand an der Universität Tübingen ein Symposion statt. Das Thema, «Die Bedeutung Troias in der späten Bronzezeit», ist auf grosses Interesse gestossen, im Auditorium maximum der Universität waren stets mehr als 500 Personen versammelt, die Schlussdiskussion wurde vom Südwestfunk direkt übertragen.

Am Anfang steht der nunmehr allgemein bekannte, weitgehend in den Medien ausgetragene Streit zwischen zwei Professorenkollegen der Universität Tübingen, zwischen dem Ausgräber Manfred Korfmann und dem Althistoriker Frank Kolb (vgl. NZZ vom 7. 11. 01). Ausgelöst hatte ihn die Ausstellung «Troia, Traum und Wirklichkeit», welche jetzt an ihrer dritten Station in Bonn gezeigt wird und beim Publikum einen beispiellosen Erfolg hat, nicht zuletzt dank der in der Öffentlichkeit geführten Kontroverse (vgl. NZZ vom 30. 3. 01). Das Symposion sollte die Diskussion auf eine wissenschaftliche Ebene zurückführen und dazu beitragen, die Standpunkte zu klären und zu relativieren. Elf weitere Fachleute aus den verschiedenen an den Fragestellungen um Troia interessierten Disziplinen beleuchteten die Problematik aus ihrer Sicht.

Streitfragen

Um was geht es beim Streit eigentlich? Zunächst: Die ganze Diskussion betrifft nur eine bestimmte Periode in der Lebenszeit von Troia, die Siedlungsschichten VI (spät) und VII A, welche beide in die späte Bronzezeit zu datieren sind. Am Ende von VII A stand eine archäologisch nachgewiesene Brandzerstörung, und diese wird seit den Grabungen von C. W. Blegen in den dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts gerne mit der in der griechischen Dichtung geschilderten Eroberung Troias durch die Griechen gleichgesetzt. In dieser Verbindung von archäologischem Ergebnis und epischer Schilderung Homers haben die Emotionen ihre Wurzeln, seit den ersten Arbeiten Heinrich Schliemanns im späteren 19. Jahrhundert.

Die hauptsächlichen Streitfragen, die am Symposion behandelt wurden, sind: Hat es in Troia im betrachteten Zeitraum eine dicht besiedelte und mit einem Verteidigungssystem versehene Unterstadt gegeben? Und damit zusammenhängend: Kann man überhaupt von einer Stadt Troia sprechen? Und dann: War Troia im betrachteten Zeitraum tatsächlich eine Drehscheibe des Handels? Schliesslich: Ist Troia in gleichzeitigen Schriftzeugnissen auf Tontafeln aus dem Grossreich der Hethiter in Zentralanatolien genannt, oder handelt es sich nur um zufällige Assonanzen? Und dann, als ein zusätzliches Element, die Frage, inwieweit die epischen Gedichte Homers überhaupt Elemente enthalten, welche in die Bronzezeit zurückreichen.

Besonders umstritten ist die Existenz einer Unterstadt in Troia VI und VII A. Eine solche ist in einem an der Ausstellung gezeigten Modell visualisiert worden. Dass archäologisch bisher nur wenige Spuren gefunden wurden, jedenfalls was den von der Zitadelle weiter entfernten Bereich betrifft, ist unbestritten. Lagen dazwischen andere Steinhäuser, oder gab es, wie die Gegenmeinung annimmt, Gärten und Weinberge? Und darf man, gestützt auf so wenige Elemente, ein Modell anfertigen, welches den Ausstellungsbesuchern und den Schulklassen ein möglicherweise verfälschtes Bild vermittelt? Seine grosse Bedeutung hat das Modell allerdings, so wird man sagen müssen, erst durch die Kontroverse erhalten. Es muss doch möglich sein, im Rahmen einer Publikumsausstellung Derartiges zu zeigen, auch wenn die Einzelheiten einer strengen wissenschaftlichen Prüfung (noch) nicht standhalten; am Modell sind übrigens inzwischen die ergänzten Häuser von den wenigen tatsächlich nachgewiesenen farblich abgesetzt worden. Falls es die Unterstadt nicht gegeben haben sollte, ist tatsächlich fraglich, ob man bei Troia VI und VII A von Städten sprechen kann. - Nötig ist zunächst allerdings, zu definieren, was unter Stadt in dieser Zeit zu verstehen ist. Eine praktikable Definition ist von einem Referenten denn auch vorgeschlagen worden. Dabei muss auch die Vergleichsbasis klar definiert werden. Sicher lässt sich Troia nicht mit den gleichzeitigen Städten Mesopotamiens und Syriens vergleichen, vielleicht nicht einmal mit denjenigen Zentralanatoliens. Im Rahmen seines näheren Umfeldes, also der Westküste Kleinasiens und der nördlichen Bereiche der Ägäis und ihres balkanischen Hinterlands, ist Troia aber in jedem Fall eine ansehnliche Siedlung gewesen, ob man diese nun Stadt nennen will oder nicht! Besonders fruchtbar war im Übrigen der Hinweis auf das südosteuropäische Umfeld, denn bisher ist Troia, ausgezeichnet durch seine Verbindung mit Homer, wohl zu sehr isoliert und zu wenig in sein kulturelles Umfeld eingebettet betrachtet worden.

Bei der Diskussion der Frage des Handels zeigten sich methodische Differenzen zwischen Althistorikern und Prähistorikern. Die einen stützen sich auf erhaltene Schriftdokumente aus Anatolien und aus dem Vorderen Orient mit Ägypten, die anderen analysieren ihre Karten zur Verbreitung von Fundstücken, deren Aussagen in der Diskussion jedoch zu wenig gewichtet worden sind. Der Ausgräber mag die Bedeutung Troias als einer Handelsstadt überschätzt haben; dass dieses in ein Netz regionalen Güteraustausches eingebunden war, kann aber kaum bestritten werden. Was eine gesicherte Identifikation Troias in hethitischen Texten angeht, sind auch die Fachleute der hethitischen Sprache nicht einer Meinung. Auffällig bleiben die Assonanzen, auch von der geographischen Lagebestimmung her scheint eine Identifikation durchaus möglich zu sein; Sicherheit allerdings ist auf Grund des bisher zur Verfügung stehenden Quellenmaterials nicht zu gewinnen.

Schliesslich zur alten Frage, ob bei Homer, dessen Iliasgedicht entweder einige Jahrzehnte vor 700 v. Chr. oder einige Jahrzehnte danach niedergeschrieben worden ist, überhaupt Anklänge an die Bronzezeit des 13. Jahrhunderts v. Chr. zu finden seien. In einem viel benutzten wissenschaftlichen Lexikon der Antike konnte ein sehr angesehener Vertreter der Wissenschaft vom klassischen Altertum im Jahr 1975 schreiben: «Für die Frage der Geschichtlichkeit (des Troianischen Kriegs) geben die Ruinen (Troias) nichts her.» Dieselbe Meinung kann man auch heute noch vertreten, wie das Symposion gezeigt hat, genau so wie auch die Gegenposition!

«Der neue Troianische Krieg»

Was sind die Ergebnisse des Symposions? In der Sache haben sich die Standpunkte wenig verändert. Während sich die Althistoriker um ihren Kollegen Kolb zu scharen schienen, welcher in seinem Schlusswort seine harte Linie nochmals unterstrichen hat, fand der Prähistoriker Korfmann in seiner Zunft eher differenzierte Unterstützung, die anzeigt, dass hier - zu Recht - alles sachbezogener gesehen wird. Was das Publikum angeht, hat es erhalten, was es zu sehen wünschte. Der in den Medien angekündigte «neue Troianische Krieg» hat stattgefunden, manche der Teilnehmer haben in ihrer Wortwahl kaum Grenzen gekannt, beleidigende persönliche Anwürfe und Unterstellungen haben nicht gefehlt, auch nicht Protestrufe aus dem Publikum, eine ungewohnte Kulisse für eine wissenschaftliche Veranstaltung! Stossend war auch die unsägliche Eitelkeit mancher Referenten, welche im Saal nicht selten mit Gelächter quittiert worden ist. Verlierer sind die Altertumswissenschaften, denn sie haben in der Öffentlichkeit kein gutes Bild abgegeben. Wenn ein Diskussionsteilnehmer von zwei Gladiatoren mit ihren Sekundanten gesprochen hat, war das Bild nicht falsch gewählt. Aber muss sich die Wissenschaft wirklich zum Narren der Öffentlichkeit machen lassen, nur weil einzelne ihrer Exponenten sich zu profilieren suchen?

In seinem Schlusswort hat der Ausgräber Korfmann festgehalten, dass er weiterarbeiten will wie bis anhin. Dies kann man nur begrüssen, denn nur die Fortführung der Grabung wird wesentliche Fragen weiter klären können, etwa die nach der Bedeutung von Troia VI und VII A in seiner Zeit oder diejenige, ob es eine Unterstadt mit dichter Bebauung zur Zeit von Troia VI und VII A gegeben hat oder nicht. Für die Bestätigung der Gleichsetzungen mit Namen in der hethitischen Überlieferung muss man auf neue Textfunde hoffen. Anderes, wie das Problem, ob und inwieweit die Gedichte Homers die bronzezeitliche Welt des 13. Jahrhunderts v. Chr. spiegeln, muss wohl für immer offen bleiben. Darüber wird ja auch schon lange diskutiert, nicht erst seit dem Beginn der neuen Ausgrabungen in Troia.

Hans Peter Isler

 

 


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