Realien: Materialien von Anton Hafner (KZU Bülach)

 

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Quelle:

Neue Zürcher Zeitung Ressort Feuilleton, 8. März 2002, Nr. 56, Seite 61

 

Das Volk der tausend Götter

Eine Hethiter-Ausstellung in Bonn

Was wusste man vor hundert Jahren über die Hethiter? Nicht viel mehr, als was einige Bibelstellen andeuten: dass bereits die Erzväter mit diesem Nachbarvolk politisch zu rechnen hatten und seine Frauen eine Versuchung für sie darstellten. Erst der archäologischen Forschung des vergangenen Jahrhunderts ist es gelungen, das Verhältnis dieser «Bibel-Hethiter» zu der anatolischen Grossmacht des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu klären.

Lange nach dem Verschwinden der Hethiter traf Herodot in der Gegend von Izmir auf ein monumentales Felsrelief mit der Darstellung eines Königs, die er - wie zunächst auch moderne Forscher - für ägyptisch hielt. Nachrichten und Abbildungen von ähnlichen anatolischen und nordsyrischen Altertümern finden sich dann in neuzeitlichen Werken osmanischer und europäischer Reisender. Zu den charakteristischen Felsreliefs, die von Westkleinasien bis zum Euphrat vorkommen, gehört eine nichtägyptische Bilderschrift, die sich erst nach 1870 als hethitisch herausstellte. Daraufhin begann die gezielte Suche nach den Hethitern im Boden Anatoliens. Sie nicht nur zu finden, sondern auch in ihrer enormen Bedeutung für die politische Geschichte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends zu erkennen, gelang schliesslich durch die Entdeckung umfangreicher Archive von Tontäfelchen im entlegenen Bogazköy östlich von Ankara, das man bald mit Hattusa, der Hauptstadt des Hethiterreiches, identifizieren konnte. Hier führt das Deutsche Archäologische Institut seit 1906 systematische Ausgrabungen durch.

Folgenreiche Erkenntnis

Die auf den Tontäfelchen benützte Schrift ist keine Bilderschrift, sondern eine schon seit langem lesbare mesopotamische (ursprünglich akkadische) Keilschrift. Ihre Sprache musste aber erst erschlossen werden: Nach Vorarbeiten anderer gelang es 1915 B. Hrozny, nicht nur einige der Texte zu lesen, sondern auch nachzuweisen, dass Hethitisch eine indoeuropäische Sprache war. Diese Erkenntnis hat natürlich weitreichende Folgen für die Rekonstruktion der Frühgeschichte sowohl Anatoliens wie der benachbarten Gebiete. Historisch solide Schlüsse gründen hier auf eng miteinander verzahnte schriftliche, sprachliche und archäologische Dokumente. Zu befragen sind einerseits die materiellen Zeugnisse, wie die Reste von Häusern, Palästen, Befestigungen, die Keramik, der Schmuck. Auf der anderen Seite interessiert die Entwicklung von Schrift und Sprache. Schliesslich will man wissen, was die seit 1906 ununterbrochen fliessenden Schriftquellen über die Hethiter, bzw. deren Könige, explizit berichten.

Im dritten vorchristlichen Jahrtausend war das weite Hochland im inneren Kleinasien von der Urbevölkerung der Hattier bewohnt, die im Namen der späteren Reichshauptstadt - aber nicht nur dort - nachlebt. Eine erste kulturelle Hochblüte fand hier zwischen etwa 2300/2200 und 2000 v. Chr. statt, wie dreizehn 1935 in Alacahöyük, nördlich von Hattusa, entdeckte Fürstengräber nahelegen. Sie waren mit kunstvoll bearbeiteten Gegenständen aus Gold, Silber und anderen Materialien dotiert. Nicht anders als an der kleinasiatischen Westküste und in der Ägäis deutet diese Konzentration von Reichtum darauf hin, dass jene soziale Dynamik in Gang gekommen war, die schliesslich zur Bildung des Grossreiches führen sollte. Weitere wichtige Fundorte sind im südöstlichen Hochland Alisarhöyük und Kültepe. Letzteres bleibt auch in der bald nach 2000 v. Chr. datierten Phase der Handelsniederlassungen aus Assur bedeutend und ist in Bonn durch elegante rote Schnabelkannen und durch vielfältige Tierkopfgefässe vertreten.

Kurz vorher muss ein neues, indoeuropäisch - uranatolisch - sprechendes Volk dazugekommen sein, das zusammen mit den ansässigen Hattiern die Kultur der Hethiter herausbildete. Jedenfalls lebte Hattisch im Kult nach. Bereits kurz nach 1800 v. Chr. entstanden an mehreren Orten Anatoliens, darunter auch in Kültepe, dem Nesa (oder Kanesh) genannten ersten hethitischen Hauptort, aus Zitadelle und Wohnvierteln bestehende Grossstädte. Auf diese Zeit gehen die ersten monumentalen Palast- und Tempelanlagen zurück, Zeichen des immer deutlicheren Trends zur Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht. Dabei wurden die Götter der verschiedenen Landesteile - die tausend Götter - in das Pantheon der Hethiter integriert, was aber nicht Gleichschaltung bedeutete: Im Hatti-Reich sind, wie die Keilschrifttäfelchen von Hattusa belegen, nicht weniger als acht Sprachen nachweisbar.

Um 1665 v. Chr. wurde Hattusa Residenz, und daher nahm König Labarna den Namen Hattusili an. Nachdem der neue anatolische Territorialstaat die früheren Regionalherrschaften absorbiert hatte, richtete sich der Expansionsdrang über den Taurus nach Nordsyrien und Mesopotamien. Das Imperium erreichte mit Suppiluliuma I. um 1350 v. Chr. seine maximale Ausdehnung, musste aber wenig später vor den anderen beiden Grossmächten im Vorderen Orient, Ägypten und Assyrien, weichen. Hierher gehört der erste Friedensvertrag der Weltgeschichte, 1259 zwischen dem ägyptischen Pharao Ramses II. und Hattusili II. geschlossen, von dem Abschriften in beiden Sprachen und Schriften erhalten sind.

Untergang und Nachblüte

Kaum war damit eine internationale Machtbalance erreicht, wurde um 1200 v. Chr. das gesamte östliche Mittelmeer, also neben Ägypten und dem Hethiterreich auch die mykenisch kontrollierte Ägäis, wohl durch neu auftretende Völkerschaften destabilisiert. Während mit dem Reich die hethitische Kultur in Anatolien verschwand, erlebte sie jenseits des Taurus in einzelnen regionalen Fürstentümern eine Nachblüte: Diese späthethitische Kultur ist um Malatya, Karkemish, Antakya, Adana, Aleppo herum durch Felsreliefs und Stelen sowie durch Hieroglypheninschriften präsent, die in Luwisch, einer dem Hethitischen nahestehenden Sprache, abgefasst sind. Auf diese Kultur, der erst die assyrische Expansion um 700 v. Chr. ein Ende setzte, nehmen die anfangs genannten Bibelstellen Bezug.

Dass eine Ausstellung über die Hethiter willkommen ist, steht ausser Frage. Dass sie gelungen ist, ist allerdings keineswegs selbstverständlich. Was an dieser Kultur den modernen Menschen am meisten beeindruckt, ist ganz Grosses, wie die charakteristischen Felsreliefs, und ganz Kleines, wie die mit dichten, winzigen Zeichen und Bildsymbolen versehenen Täfelchen und Siegel. Das stellt an den Aussteller grosse Anforderungen, ebenso wie der Umstand, dass der selbst noch in der späthethitischen Phase formelhaft steife Figurenstil den Kunstliebhaber kaum unmittelbar anspricht. Die erhaltene Kunst - wie übrigens auch die Schriftzeugnisse - war eben imperialer Botschaftsträger und lässt entsprechend wenig vom real gelebten Leben durchscheinen. Über den Alltag normaler Sterblicher sagt auch die eindrückliche frühe Keramik wenig aus, die offensichtlich für kultischen und zeremoniellen Gebrauch bestimmt war. Die mit Licht und Luft grosszügig operierende Gestaltung (sie unterscheidet sich darin wohltuend von der daneben gezeigten kleinteiligen Troja-Ausstellung), die guten und gut lesbaren Wandtexte, Karten, Tabellen und nicht zuletzt die herrlichen Panoramen und Luftbilder wichtiger Fundplätze sprechen auch das breite Publikum an, das zudem Einblick erhält in die abstrakteren Aspekte der hethitischen Kultur: die staatliche Organisation, die Probleme von Schrift und Sprache, das Besondere der Religion.

Viel Mühe bereitet hingegen der Katalog, der einem auch sonst leider immer deutlicheren Trend folgt. Das tonnenschwere Buch enthält zwar eine Fülle kompetenter und willkommener Information. Doch wichtiger, als diese zu vermitteln, war den Gestaltern, durch grafisch Ausgefallenes aufzufallen. Bildbeschriftungen und Seitenzahlen rufen laut nach der Lupe, die Bilder der Exponate sind im Katalogteil schlicht unkenntlich, die Texte dazu miniaturistisch, was umso bedauerlicher ist, als nicht alle Objekte nochmals im Textteil erscheinen. Den Ausstellungsraum werden die Hethiter bald wieder verlassen: Zwischen bleibenden Buchdeckeln hätten sie ein besseres Nachleben verdient.

Cornelia Isler-Kerényi

Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, bis 9. Juni. Katalog 25 EUR. Im gleichen Haus, neben der Troja-Ausstellung (bis 1. April 2002): 7000 Jahre persische Kunst. Meisterwerke aus dem Iranischen Nationalmuseum in Teheran, verlängert bis zum 26. Mai.

 

 


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