Juni 1998

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Im April 1998 hatte die Aktivität Ätnas nach der grossen Eruption des Nordostkraters vom 27./28. März etwas nachgelassen. Im Mai nahm sie wieder rasch zu. SOL-Korrespondent Marco Fulle konnte sie fotografisch dokumentieren. Wir freuen uns sehr, hier eine Auswahl seines einmaligen Bildmaterials präsentierten zu können. Sein Erlebnisbericht der Nacht vom 3. auf den 4. Juni am Ätnagipfel gibt eine Vorstellung von den erheblichen Risiken, die er auf sich nahm. Die Fotos auf dieser Seite dürfen auf keinen Fall als Ermutigung dafür angesehen werden, sich den Kratern Ätnas zu nähern!

Juni 1998
Gipfelregion, 6. Juni 1998, 22:00 von Torre del Filosofo. Eruptive Tätigkeit von Voragine und Bocca Nova beleuchtet den austretenden Dampf. Strombolianische Tätigkeit und Lavaströme am Südostkrater (rechts).
Juni 1998
Südostkrater, 3. Juni 1998, 18:00 vom Südrand des Zentralkraters. Seit Juli 1997 ist der Zentralkegel beträchtlich gewachsen (vergleiche Foto vom Juli 1997 von der gleichen Position).
Juni 1998
Südostkrater, 4. Juni 1998, 19:00 vom NE-Rand. Boris Behncke (der SOL's «Schwester-Website» unterhält) fühlt sich hier sehr zu Hause. Beachten Sie die weissen Konkretionen von Kalziumsulfat in der Nähe der fliessenden Lava.
Juni 1998
Südostkrater, 6. Juni 1998, 21:00 vom Nordrand. Kleine strombolianische Ausbrüche von zwei aktiven Schloten. Links geht das Sternbild Skorpion auf. Oben: der nahezu volle Mond scheint durch dünne Zirrostratuswolken.
Juni 1998
Voragine 3. Juni 1998 20:19. Der aktive SW-Schlot (Entfernung 250 m, Durchmesser 50 m) ist erfüllt von einer aufsteigenden Magasäule, die eine kontinuierliche Fontäne ausschleudert. Beachten Sie die bis 10m grossen Lavafetzen.
Juni 1998
Voragine 3. Juni 1998 20:23 vom ENE-Rand. Das Bild entstand genau in dem Augenblick, als eine Magmablase explodierte. Das «Diaframma» im Hinterhrund wird durch das 1200 °C heisse Magma beleuchtet.
Juni 1998
20:26. Die permanente Lavafontäne schleudert Material auf alle Seiten. Etwa 100 m über ihr ist rötliche Asche sichtbar. Während dem Aufnehmen dieser Fotos war sie die Hauptgefahr. Glücklicherweise wurde sie von günstigen Winden nach hinten weggeblasen.
Juni 1998
20:29. Der aktive SW-Schlot ist nun von einer puliesierenden Feuerfontäne erfüllt, die eine Höhe von über 200 m erreicht. Metergrosse Lavafetzen werden bis auf die Flanken des Nordostkraters geworfen.
Juni 1998
Voragine, 6. Juni 1998 19:00 vom ENE-Rand. Der Durchmesser des SW-Schlotes ist auf 20 m geschrumpft. Seit dem 3. Juni ist der Kraterboden etwa 30 m tief mit neuem Tephra aufgefüllt worden.
Juni 1998
Voragine. 4. Juni 1998 20:00 vom ENE-Rand. Kontinuierliche Magmajets am aktiven SW-Schlot. Ein auffälliger Gang auf dem «Diaframma» (hinten) ist als Folge der heftigen «Bombardierung» durch Lavafetzen abgebrochen.
Juni 1998
Voragine. 4. Juni 1998 21:00. Kontinuierliche, 200 m hohe Magmajets bedecken das «Diaframma» mit zahllosen Bomben. Viele fliegen sogar bis in die Bocca Nuova links hinten.
Juni 1998
Voragine. 4. Juni 1998 22:00. Eine etwas längere Belichtungszeit dieses Fotos verstärkt die Helligkeit der von der Lavafontäne beleuchteten Kraterwände.
Die Aktivität am 3. Juni 1998

Erlebnisbericht von Marco Fulle aus einem «infernalischen Paradies»

Am 2. Juni war abends von Nicolosi aus keinerlei Glühen über dem Ätnagipfel zu sehen. Der Berg war dank ausgezeichnetem Wetter bestens sichtbar. Am 3. Juni begann ich einen Marsch, der schlussendlich elf Stunden dauern würde. Zunächst hielt ich direkt auf den Westrand der Voragine zu, um die Aktivität zu beobachten.

Um 4 Uhr nachmittags wurde ich von Franco Emmi angehalten, der mit 5 Touristen unterwegs war. Wir hörten fürchterliche Detonationen in der Voragine und auch in der Bocca Nuova. Franco sagte mir, dass es äusserst gefährlich sei, sich der Voragine von Westen her zu nähern (er hielt 200 m vor dem Kraterrand an). Vom Parkplatz aus, der sich 500 m W der Voragine befindet, konnte man dunkle Bomben sehen, die aus beiden Kratern mindestens 100 m hoch über die Ränder hinausflogen. Voragine produzierte ausserdem dichte Aschewolken, die jeweils von lauten Explosionen begleitet waren.

Dennoch näherte ich mich der Voragine weiter. 200 m vom Kraterrand entfernt beherrschte fürchterliches Pfeifen von fallenden Bomben die Szene: eine landete vor mir, eine andere links, eine dritte rechts und schliesslich eine sogar HINTER mir... Hastig zog ich mich zurück und machte mich auf den Weg zum Beobachtungspunkt am Südrand der Bocca Nuova. 20 m vor dem Kraterrand fand ich wiederum Dutzende frisch gefallener Bomben, die bestimmt nicht älter als eine Stunde waren. Es gab zwei bis drei pro Quadratmeter. Der NW-Schlot der Bocca Nuova schleuderte schwarze Bomben 100 m höher als meine gegenwärtrige Position aus. Deshalb setzte ich schleunigst meinen Weg entlang des Randes der Bocca Nuova Richtung Südostkrater fort.

Dort fand ich schliesslich einen Platz ohne frische Bomben! Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte ich mich sicher genug zum Fotografieren. Auch konnte ich nun in Ruhe den Lavastrom an der NE-Seite des Südostkraters beobachten. Ich war allerdings nicht mehr als 500 m vom Ostrand der Voragine entfernt. Es war windstill und der Rauch der Krater stieg senkrecht in den Himmel. So kam ich auf den Gedanken, mich der Voragine von Osten her zu nähern. Ich MUSSTE in diesen Krater hineinschauen! Allerdings wurden die Detonationen lauter und lauter. Pfeifende Bomben flogen nun aus der Voragine bis zum Südrand der Bocca Nuova! Trotzdem ging ich weiter. Auf halbem Weg stellte ich fest, dass die Bomben sogar in den Nordostkrater hineinfielen. Trotzdem hielt ich nicht an!

Grosses Glück: um 8 Uhr frischt ein Ostwind auf. Ich darf annehmen, dass er fliegende Schlacken von mir wegblasen wird. Um 8.15 Uhr erreiche ich den Ostrand der Voragine und bin geblendet! Nach den früher erfolgten Ascheeruptionen ist der Schlot total geöffnet! Er ist 50 bis 70 m breit und von gigantischen gelben Magmablasen erfüllt, die mit Donnerkrachen aufplatzen. Jede Explosion wirft 10 m grosse Lavafetzen über das ganze Kraterinnere.

Obwohl ich mich fürchte, zwinge ich mich, einige Fotos mit dem 50mm-Objektiv aufzunehmen. Die Szenerie ist derart hell, dass ich mit kurzen Belichtungszeiten (1/125s) die Bewegung «einfrieren» kann. In weniger als 10 Minuten nehme ich 30 Bilder auf. Sollten sie gelingen, wären es die aufregendsten Fotos meines Lebens! Die Farbe des Magmas ist unnatürlich gelbweiss. Die Magmasäule im Schlot hebt und senkt sich mit enormer Geschwindigkeit. Manchmal gibt sie glühende Schlotwände frei. Die Magmablasen werden grösser und grösser und explodieren mit zunehmender Wucht.

Zu diesem infernalische Lärm kommt noch das Geräusch der aufprallenden, gelb glühenden Schlacken. Bald verwandeln sich die Magmablasen in eine kontinuierliche Lavafontäne, die zuerst 50, dann 100 und schliesslich 200 Meter hoch aufsteigt und auf alle Seiten spritzt. Sie bestreicht sogar das «Diaframma», erreicht den Nordostkrater, verändert sich, wird höher und höher. Meine Furcht wird zur Panik.

Ich fülle den Film, will ihn wechseln, doch dann wechselt auf einmal die Windrichtung. Der Wind weht gegen mich. Über der Lavafontäne sehe ich glühende Asche, und sie beginnt in meine Richtung zu fliegen! Einige Sekunden später werde ich von Lapilli überschüttet, aber - ich habe RIESIGES GLÜCK - es ist nichts weiter als ein harmloser, schwarzer «Schneefall». Die Lapilli sind nur 1 oder 2 cm gross und tun mir nichts. Aber dann folgt ein neuer Schrecken: Die Grösse der fallenden Lapilli nimmt zu, bis auf 10 cm. Wann kommen die metergrossen Blöcke?

Um 8.30 Uhr muss ich mich von diesem infernalischen Paradies losreissen. Die Aktivität, die ich soeben beobachten konnte, ist mit nichts vergleichbar, was ich in meinem ganzen bisherigen Leben gesehen habe.

[Übersetzung J. Alean]