Nyiragongo


MUSUNGU
Marco Fulle
30. Januar 2006; "Musungu" bedeutet "Weisser" auf Suaheli

«Nun machten wir uns auf den Weg zum Nyiragongo». Mit diesen Worten endet Haroun Tazieffs Buch «Ätna und die Vulkanologen». Nach dessen Lektüre kam ich zur Einsicht, dass es einzig und allein an uns selber liegt, noch intakte Welten zu finden, um sie zu erforschen. Während ich damals bestenfalls darauf hoffen konnte, einige der geschilderten Erfahrungen am Ätna zu machen (und tatsächlich hat mich Ätna in dieser Beziehung reich belohnt), so war doch eine Welt wie die des "Nyiragongo" ein schier unerreichbares Ziel.

Jetzt aber stehen wir am Fuss jenes Berges, der mir damals so unerreichbar erschienen war. Hinter uns liegt ein eiliger, dreistündiger Abstieg. Er begann im Morgengrauen am Lagerplatz, unmittelbar am Rand des immensen Kraters. Er führte uns herunter über Hänge mit verbranntem Gras; dann durch Bestände von Riesensenecien, die sich im Wind wiegten; durch baumgrosse Erikabestände, später Felder voller Blumen; über sanft gewellte Pahoehoelava, die unter unseren Schuhen knisterte und brach und die bereits vier Jahre nach ihrer Entstehung von Farnpflanzen überwachsen wird; weiter ging der Abstieg hindurch zwischen verkohlten Bäumen, in deren Äste Basaltfladen hingen, die an silbrige Vogelnester erinnerte; über Aa-Lavafelder, die unter der erbarmungslosen Sonne zu brennen schienen; schliesslich führte uns der Weg hinein in Wälder, in denen schwüle Hitze brütete. Wir sind so voller Eindrücke und Erinnerungen, noch kaum verarbeitet. Ganz zum Schluss rennen wir über Pfade abwärts, stolpern über Wurzeln und Basaltblöcke, die - versteckt im Gras - uns in die Quere kommen.

Die Rennerei hat nun ein Ende. Der Wagen von Marcel ist bereit, uns nach Goma zurück zu bringen, wo endlich eine Dusche auf uns wartet. Ich sitze am Boden, neben Stephane, sein Rücken gegen meinen. Endlich lässt die Spannung nach. Wir haben es geschafft, auch den Abstieg, der für mich in diesen Tagen schwieriger geworden ist als der Aufstieg. Die Blätter des Waldes rascheln leise im Wind. Hinter mir singt ein Mädchen ein Lied auf Suaheli. Die Worte bleiben mir unverständlich; dann blickt sie uns an. «Hör mal, ein Kanon - ganz vollkommen!» «Arme Musungu, die nicht mehr singen können...» Unbekannte Harmonien erklingen, fliessen über die Hänge des Vulkans abwärts bis zum Kivusee, überqueren Schlackenkegel grösser als die des Ätna und umschliessen die zwei Musungu, das Land, die Erde.