Wetter auf Stromboli

Geschichten vom Scirocco

Die «Äolischen Inseln» verdanken ihren Namen Aiolos, dem griechischen Gott der Winde. Insbesondere der Scirocco, ein kräftiger Südostwind, hat schon manchen Reisenden Sorgen bereitet:

24. April 1996
Es ist uns klar, dass auf dem Gipfel ein starker Scirocco blasen wird. Aber wir haben nur ein paar Tage auf der Insel zur Verfügung und entscheiden uns deshalb zum Aufstieg zu unserer seismischen Station.

Unterwegs werden wir Zeugen eines ungewöhnlichen Schauspiels: Derart kräftig bläst der Sturm aus Südosten, dass aller Rauch von den Kratern entlang der Sciara del Fuoco aufs Meer hinunter geblasen wird.

Zwar ist die Station am Nordosthang des Vulkans etwas vor den schlimmsten Windböen geschützt. Dennoch ist die Arbeit an den Instrumenten beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Immer wieder werden wir eingeäschert, weil der Wind oben am Grat loses Material aufwirbelt. Trotz der ungemütlichen Umstände wirkt die Engelsgeduld des SOL-Team-Mitglieds Franco Iacop Wunder, und wir brechen immerhin in der Gewissheit auf, dass alle Geräte funktionieren.

Aber so kurz unterhalb des Gipfels sind wir entschlossen nicht umzukehren, ohne vorher den Pizzo erreicht zu haben. Unter normalen Bedingungen wäre dies ein gemütlicher Zwanzigminuten-Spaziergang. Heute wird daraus ein ordentliches Abenteuer. In dem Augenblick, als wir den Liscione-Grat erreichen, bricht die volle Wucht des Sturms über uns herein.

Aufrecht stehen oder Gehen ist nur für Sekunden möglich, wenn der Wind kurz nachlässt. Am schlimmsten ist der Staub und die Liapilli in der Luft, die auf unsere Haut geschleudert werden. Wenn ich mich gegen den Sturm drehe, fühlt es sich an, als würde mein Gesicht mit tausend Nadelstichen malträtiert. Die letzten Meter zum Gipfel lege ich buchstäblich auf Händen und Füssen zurück. Ich bin sicher, dass die Böen 100 bis 150km/h erreichen.

Diesmal macht mich nicht die Aussicht, sondern der Strum atemlos. Belohnt werden wir allerdings durch eine ungewöhnlich klare Sicht auf die Krater: Sämlicher Rauch und aller Dampf wird von uns weg die Sciara hinuntergeweht. Ich knie hinter ein paar Steine, bereite die Kamera vor und schiesse einige Stereofotos, wobei ich die Kamera dem Sturm jeweils nur wenige Sekunden lang aussetze. Dann ziehen wir uns schleunigst zurück. Erst unten beim Bastimento finden wir genug Windschatten, um uns von den dramatischen Minuten auf dem Gipfel zu erholen.

27. April 1996 (1)
Der Scirocco hat ein paar bemerkenswerte Auswirkungen auf die Einwohner Strombolis: Dieses Jahr hat sich die Elektrizitätsgesellschaft dazu entschlossen, sämtliche Strassen von San Vincenzo and San Bartolo aufzureissen. Dies erfordert sizilianische Arbeiter.

Tagein, tagaus rattern sodann die Presslufthämmer und machen Stromboli zu einem etwas weniger erholsamen Urlaubsparadies als sonst. Samstags wird es Zeit für einen der Arbeiter, für sein wohlverdientes Wochenende nach Sizilien zu fahren. Dort wird er gar als Bräutigam an seiner eigenen Hochzeit erwartet.

Wegen des Scirocco kommt alles anders: Weder die Aliscafi noch das Schiff aus Neapel können am Pier anlegen, der unter dem unablässigen Ansturm der Wellen und Brecher erbebt. Sizilien ist heute unerreichbar. Nicht vorzustellen wagen wir es uns, welche Folgen diese Verzögerung auf das zukünftige Eheglück des noch Unvermählten haben wird.

27. April 1996 (2)
Scirocco stört auch die Reiseabsichten von Pamela Alean, die aus wichtigen beruflichen Gründen bis Sonntagabend zurück in Zürich sein muss. Während der letzten Woche gelang den Schiffen jeweils eine Landung, dann war es wieder unmöglich etc. Gestern funktionierte es wieder, und das Wetter scheint sich zu bessern.

Heute aber teilt sie das Los des Sizilianischen Arbeiters. Forza major! Somit bleibt Pam noch die einzige Option einer rekordverdächtigen Hochgeschwindigkeits-Rückkehr am Sonntag. Theoretisch, wenn alles funktioniert, ist es möglich Stromboli um 7 Uhr morgens zu verlassen und frühabends Zürich zu erreichen.

Wunderbarerweise lässt der Scirocco am Sonntagmorgen nach. Der Aliscafo kommt und nimmt manche erleichterte Passagiere mit nach Milazzo. Von dort geht es per Taxi weiter im Eilzugstempo nach Catania, gerade noch zur Zeit für den Flug nach Milano.

Das Abenteuer ist jedoch noch keineswegs überstanden: Der Flug ist verspätet, und der Anschluss in Milano scheint unerreichbar. Auf Pams Drängen hin erbarmt sich aber der freundliche Pilot und setzt einen Funkspruch nach Milano ab: Der Flug nach Zürich müsse warten. Etwa ein Dutzend andere Passagiere atmen ebenso erleichtert auf.

Dauerlauf durch die Terminals von Milano Linate, anschnallen im Flugzeug, Türen zu, und - nein! Kein Takeoff. Technische Probleme. Für fünf Stunden ist Pam in Milano gestrandet, findet aber schliesslich doch noch einen Platz in einem Swissairflug, der sie spätabends nach Zürich bringt. Sie hat den Familienrekord der Strombolireisen gebrochen: 18 Stunden von Tür zu Tür.


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