Verschiedene Verfahren zum Lösen von Extremalaufgaben

Extremalaufgaben im Mathematikunterricht

Extremalaufgaben repräsentieren eine fundamentale Aufgabe und nehmen im Mathematikunterricht auf der Sekundarstufe II (und auf der Hochschulstufe) seit jeher einen grossen Stellenwert ein. Der Hauptgrund dürfte im anwendungsorientierten Hintergrund dieser Aufgaben liegen. Typischerweise treten Extremalaufgaben an zwei Stellen im Mathematik-Curriculum auf: Zum ersten Mal im Rahmen des Themenbereichs "Quadratische Funktionen'' und später als Anwendungen in der Differentialrechnung.

Deutschsprachige Lehrmittel für die Gymnasialstufe beinhalten in der Regel ein Kapitel zu quadratischen Funktionen, das meistens folgendermassen strukturiert ist:


Unter dem Abschnitt "Bestimmen von Minima und Maxima'' wird dann auf die Bedeutung von Extremalaufgaben in der Praxis hingewiesen, die Schülerin und der Schüler aber mit Aufgaben der folgenden Art konfrontiert:

"Wolfgang will für seine Meerschweinchen aus 17m Maschendraht ein Gehege mit möglichst grossem Flächeninhalt bauen. Für eine Seite kann er die Hauswand benützen. Wie muss er die Abmessungen wählen?''


Im Rahmen der Differentialrechnung werden Extremalaufgaben meistens erst nach Einführung des formalen Differentiations-Kalküls erneut aufgegriffen. Im Vordergrund stehen dabei Begriffe wie "lokales Minimum, lokales Maximum'', f'(x)=0 als notwendige Bedingung für innere Extremstellen und hinreichende Bedingungen für innere Extremstellen, zum Beispiel der Vorzeichenwechsel der zweiten Ableitung. Erst später folgen anwendungsorientierte Aufgaben.

Auch in neuesten amerikanischen Lehrmitteln ist dies nicht anders. So erscheinen in einem als sehr modern geltenden Calculus-Buch -- mit dem Zusatz "Graphical, Numerical and Algebraic Approach'' sogar im Titel -- Extremalaufgaben erst auf Seite 259 als Anwendung der Differentialrechnung und den Schülerinnen und Schülern wird gleich das Rezept zum Lösen solcher Probleme mitgeliefert:

Page 292: Strategy for Solving Max-Min Problems

Draw a picture of the problem situation
Write an algebraic representation
Draw a complete graph y=f(x)
Draw a graph of the problem situation
Confirm the critical points
Find the extreme value and state the solution


Auch als Abituraufgaben erscheinen sehr häufig Extremalprobleme, oft als Bestandteil einer klassischen Kurvendiskussion. Solche Aufgaben haben beispielsweise folgendes Aussehen:

Gegeben ist die Funktion f mit

Untersuche die Funktion f auf Schnittpunkte mit den Achsen, Extrema und Wendepunkte.

Als Lösung wird erwartet, dass die Funktion zweimal abgeleitet, f'(x)=0 gesetzt und mittels der 2. Ableitung die Art der Extrema bestimmt wird. Im Beispiel der obigen, wenig Sinn machenden Funktion führt die 1. Ableitung auf eine Gleichung, deren Lösungen einfach und exakt ersichtlich sind. Es wird dabei tunlichst verschwiegen, dass nur schon geringfügige Aenderungen im Funktionsterm auf eine Gleichung f'(x)=0 führen würden, die nur noch mit numerischen Methoden lösbar wäre. Schülerinnen und Schüler werden im Glauben gelassen, dass sich mit der Methode "Ableiten und Nullsetzen'' alle Extremalaufgaben exakt lösen lassen. In vielen Fällen lassen sich die auftretenden Gleichungen "pseudoexakt'', d. h. unter Verwendung elementarer Funktionen wie etwa der Wurzelfunktion, trigonometrischer Funktionen oder der Logarithmusfunktion lösen. Dabei sind sich die Schülerinnen und Schüler -- und wohl auch einige Lehrerinnen und Lehrer -- nicht bewusst, dass die Werte dieser elementaren Funktionen auch nur näherungsweise berechnet werden. Dass die zweite Ableitung zur Bestimmung der Art der Extremalstellen beigezogen wird, mag eine gewisse theoretische Bedeutung haben. Viel naheliegender sind aber in den meisten Fällen direkte Argumentationen aufgrund der Problemstellung oder das Vergleichen von Funktionswerten in der Umgebung der Extremalstellen.

In der Praxis lassen sich nur die wenigsten Extremalaufgaben mit der Schulmethode "Ableiten und Nullsetzen'' lösen. Als schultaugliches Beispiel sei hier das Schubkurbelgetriebe angeführt, dessen Behandlung im Unterricht in Bettinaglio ausführlich beschrieben wird.



Exzentrisches Schubkurbelgetriebe

Beim allgemeinen exzentrischen Schubkurbelgetriebe geht die Bewegungsrichtung des Kreuzkopfes um den Betrag der Exzentrität e am Drehpunkt A der Kurbel vorbei. Die Folge davon ist eine Asymmetrie im Bewegungsablauf. Um im gezeichneten Fall von der rechten Totlage C' in die linke zu gelangen, benötigt der Kreuzkopf bei gleichmässiger Umdrehung des Rades mehr Zeit, als wieder zurück in die rechte Totlage. Die periodische Kolbenbewegung setzt sich aus einer im wesentlichen von der Kurbeldrehung herrührenden Grundschwingung sowie Oberschwingungen zusammen. Die Oberschwingungen werden bestimmt durch die Bewegungder Pleuelstange und gegebenenfalls durch die Asymmetrie, welche von der Exzentrizität herrührt. Die Konstruktion eines Motors verlangt in den
meisten Fällen einen ruhigen Lauf des Kolbens, also möglichst kleine Oberschwingungen. Eine der Hauptbelastungen der Pleuelstange rührt von der Verbindung zum Kolben her und dessen Beschleunigung ist wiederum direkt proportional zu den wirkenden Kräften. Neben anderen Fragen ist deshalb besonders von Interesse, in welchen Positionen die Beschleunigung des Kreuzkopfes maximal ist.

Für detaillierte Untersuchungen muss die Position s des Kreuzkopfes C in Abhängigkeit vom Kurbelwinkel oder der Zeit t berechnet werden. Es gelten die folgenden Beziehungen:

wobei

l ist die Länge der Pleuelstange, r der Radius des Schwungrades. Wir nehmen an, dass sich die Kurbel mit konstanter Geschwindigkeit drehe. Also gilt für den Kurbelwinkel


Zur Berechnung der Beschleunigungsfunktion muss die Positionsfunktion zweimal abgeleitet werden. Mit dem Computer-Algebra-System oder von Hand erhält man


Ableiten und Nullsetzen der Beschleunigungsfunktion liefert für den gesuchten Winkel eine Gleichung, die hier aus Platzgründen nicht angeführt wird. Es ist augenfällig, dass mittels "Ableiten und Nullsetzen'' die sich ergebende Gleichung auch für konkrete Werte der Parameter nicht mehr exakt gelöst werden kann. Mit graphischen und numerischen Methoden ist eine Lösung des Problems aber ohne grossen Aufwand möglich, wie im nächsten Abschnitt ausgeführt wird. Die numerische Mathematik kennt seit langem effiziente Verfahren zur Bestimmung von Minima und Maxima. Diese Verfahren werden heute in den gängigen Computer-Algebra-Systemen und auch zunehmend in besseren Taschenrechner in Form von Prozeduren zur Verfügung gestellt.

Der Umweg über die Ableitungen der betrachteten Funktionen ist hinfällig.